Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
Eine Tür führt in die leeren Büros. Ich höre Stimmen, leise Musik. Zu beiden Seiten des gekachelten Flurs zweigen Türen ab. Plötzlich öffnet sich eine. Martin tritt heraus. Die Toilettenspülung rauscht noch.
„ Nori!“, sagt er überrascht.
Bevor er weiß, wie ihm geschieht, liegt er am Boden und ich prügle auf ihn ein.
„ Nein!“, sagt Braun energisch, kopfschüttelnd. „Noch mal kriegen Sie mich nicht dran.“
„ Sehr gut, Doc“, lacht Nori. „Langsam lernen wir uns kennen!“
Martin hat sich auch schick gemacht. Nicht so wie ich, aber im Rahmen seiner Möglichkeiten hat er das Beste rausgeholt. Er steht auf diesen
Miami-Vice-Style
, trägt eine helle Leinenhose und ein passendes Jackett. Darunter ein T-Shirt in Pastellblau.
Wer’s mag
. Natürlich sage ich ihm, dass er super aussieht, und er erwidert das Kompliment. Und trotz der schwelenden Wut über seinen Verrat an unserer Freundschaft bemühe ich mich um äußerliche Gelassenheit.
Kill him with kindness, Nori!
Es gelingt mir, und auch mein Herzschlag reduziert sich wieder auf normal. Ich atme tief, und Martin schlägt vor, zu den Anderen zu gehen. Klaro!
Dann das große Hallo. Mein Anzug haut sie alle um. Ich streiche mir durchs Haar wie ein echter Greaser. Thomas und Klaus hängen bunte Girlanden auf. Heiner steht auf einer Leiter und versucht, den Motor der Discokugel zum Laufen zu bringen. Claudia, Silvia und eines der braven Mädchen, das ich hier gar nicht erwartet hätte, drapieren Getränke und Knabbereien auf einem Tisch mit weißer Papierdecke. Es gibt tatsächlich Bier und Bowle. Daneben, auf einer kleinen Theke, steht der Plattenspieler. Was läuft?
You spin me round.
Okay, es gibt größeren Mist. Ich lege die Platten ab.
Die Sonne steht hoch über den Feldern, erhellt den Raum, weil eine Wand von einem großen Fenster eingenommen wird. Jörg kommt rein, die Zigarette im Mundwinkel.
„ Das ist doch viel zu hell“, motzt er, und betätigt einen Schalter in der Wand, den ich gar nicht gesehen habe. Langsam gehen die Rollläden herunter und sperren den Tag aus. Und im Tausch gegen das Licht erhalten wir etwas, das wir gerade viel besser brauchen können: Atmosphäre.
Die Discokugel gerät in Bewegung. Wir applaudieren Heiner, als er von der Leiter steigt. Kleine bunte Lichter laufen an Wänden, Boden und Decke entlang wie Glühwürmchen. Das war’s. Kann losgehen. Wir stehen im Kreis und mustern uns. Wir sehen gut aus. Und obwohl wir uns alle schon ewig kennen, zum Teil aus dem Sandkasten – heute ist etwas anders. Es liegt nicht an den Outfits, die wir tragen. Die unterstreichen es nur. Die Metamorphose hat begonnen. Wir sind im Begriff, unserer endgültige Gestalt anzunehmen. Vom Kind zum Jugendlichen. Zeit für das nächste Level.
„ Was soll der Ringelpietz?“, ruft uns Jörg hinter der Theke zu. Zischend öffnet er ein Bier und dreht die Musik auf. Und sofort kommt Bewegung in die Sache.
Nach und nach füllt sich der Raum. Claudia hat die ganze Klasse eingeladen. Und niemand steht still. Ich mache den DJ. Rockwell –
Somebody’s watching me.
Gelungen. Die Menge rast. Wo bleibt Bettina? Martin entdecke ich auch nicht. Seltsam. Ich brauche Ablösung am DJ-Pult. Heiner oder Stephan?
Manowar
oder
Bronski Beat?
Es ist nie zu früh für ein Coming-out. Ich winke Stephan ran. Als ich mich durch die tanzende Menge zur Tür bewege, wird mir das ganze Ausmaß dieser Verschwörung klar. Claudia und Silvia haken sich bei mir unter und ziehen mich mit sich in die Mitte der Tanzfläche. Sie wollen mich davon abhalten, nach draußen zu gehen. Was geht da vor sich? Ihr wollt tanzen? Tanzen wir.
Wie Äste eines Baumes im Wind schwingen meine Arme zu den ersten Takten von
Dr. Mabuse
–
Never look back, never look back.
Die beiden Mädels ziehen ihre langweilige Eins-Zwei-Step-Performance ab, und ihre angewinkelten Arme schlagen wie Entenflügel. Mal unter uns, so fesselt man nicht die Aufmerksamkeit von Nori Greth. Wie ein Pantomime taste ich mit den Handflächen eine unsichtbare Wand entlang, werfe den Kopf von einer Seite zur anderen, als suchte ich den Ausgang aus einem Labyrinth. Ich finde ihn und gehe virtuell durch die Tür. Der echten Tür bin ich dabei noch keinen Schritt näher gekommen. Die Mädels sind entzückt von meiner Darbietung. Ich gebe den kaputten Roboter, bewege meinen Oberkörper mechanisch. Silvia kommt näher, tanzt mich regelrecht an.
Verdammt, ich muss hier raus!
Ein verstohlener
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