Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
1998 kommen die
Marvel-Helden ins Kino. Freu dich besonders auf die X-Men . Und 2001
geht’s dann los mit Der Herr der Ringe , verfilmt von Peter
Jackson. Die rocken so richtig.“
„Was?“, fragt Josch mit
tellergroßen Augen.
„Und weißt du was? Samweis
Gamdschie wird gespielt von Sean Astin, dem Mikey aus den Goonies .
Aber er wird ganz schön dick sein.“
„Was?“, wiederholt Josch ungläubig.
Dann schaut er an mir vorbei.
Ich folge seinem Blick. An der
Tischtennisplatte stehen Klaus, Martin und Jörg. Sie zeigen auf uns und lachen
sich kringelig.
„Leck mich am Arsch!“, raunt Josch,
klappt sein Buch zu und springt auf. Ich halte ihn am Arm fest:
„Ich brauche deine Hilfe.“ Ich lege
alle Ernsthaftigkeit in den Satz, die ich zur Verfügung habe. Josch zögert eine
Sekunde.
„Frag doch deine tollen Kumpel!“
Mit einem energischen Ruck
schüttelt er mich ab und verschwindet in Richtung Schulgebäude.
Als ich mich meinen Freunden nähere,
die sich immer noch köstlich amüsieren, gehe ich albern breitbeinig und
schneide Grimassen, damit sie denken, ich hätte Josch nur veralbert.
Wenn du denkst, es kann nicht mehr
schlimmer werden, kommt er : Clint! Eigentlich Herr Düttmann, aber wir nennen
ihn Clint. Er ist unser Chemielehrer. Sein Haar ist schütter, sein Gesicht
hager und maskenhaft wie das von Clint Eastwood in Dirty Harry . Und er
hat eine Mission: uns auf die Härte des Lebens da draußen vorbereiten. Wehe, du
schreibst mit einem Kuli! Hüte dich davor, keine ordentliche Schultasche zu
besitzen! Kämm dir die Haare, du Penner! You’re in the army
now and I am your drill instructor . Wer nicht aufpasst oder auch nur
den Eindruck erweckt, nicht bei der Sache zu sein, wird mit Clints überdimensionalem
Schlüsselbund beworfen. So ein Spinner! Wieder jemand, den man nicht
respektiert, nur fürchtet.
Die Klasse ist nach der großen
Pause unkonzentriert. Clint meint, es wäre eine gute Idee, ein Fenster zu
öffnen, damit unsere Spatzenhirne etwas Sauerstoff bekommen. Was genau glauben
solche Menschen eigentlich, uns auf den Lebensweg mitzugeben? Dass derjenige,
der die Macht hat, sie auch missbrauchen darf? Da sitzen wir, halb unbeschriebene
Blätter. Und dann kommen die Lehrer, die Erzieher, die Verbieger und
Zurechtstutzer, und mit geschlossenen Augen schmieren sie auf uns herum,
stutzen blind und wahllos die falschen Triebe. Und manch ein Blatt wird das als
Normalität empfinden, es unbewusst verinnerlichen, dass man das so macht. Und
wenn wir eines Tages Eltern sind, Kollegen, Nachbarn oder Vorgesetzte, werden
wir uns an denen rächen, die nichts dafürkönnen, dass Clint tief in sich drin
eine kleine, mickrige Wurst ist. Vielleicht arbeitet die Lehrergewerkschaft
aber auch mit dem Bund der Psychologen zusammen.
Thomas tippt mich an. Er hat was
nicht mitbekommen. Der Aufbau des Atoms scheint ihn wirklich zu interessieren.
Ich zeichne ihm das fehlende Elementarteilchen in seine Skizze. Schon fliegt
der Schlüssel. Knallt mit voller Wucht hinter mir ans Fenster und fällt
klimpernd zu Boden. Ich bin furchtbar erschrocken, wie der Rest der Klasse
auch. Clint gafft mich an wie der Habicht die Maus. Die Schrecksekunde vergeht
und die Maus zeigt die Zähne. Es sind Reißzähne, und sie sind lang und spitz.
Ich lege alle Empörung in die Frage, die mir der Situation angemessen
erscheint.
„Was soll die Scheiße?“
Sehe ich da tatsächlich eine Regung
in Clints versteinerter Söldnermiene? Vielleicht das Letzte, was ich lebendig
zu sehen bekomme.
„Was hast du gesagt?“
Verdammt! Clint kann sogar
sprechen, ohne den Unterkiefer zu bewegen. Das zeichnet einen wahrhaft
gefährlichen Mann aus. Aber gut, er scheint mich akustisch nicht verstanden zu
haben. Gibt ja keinen Grund, unhöflich zu sein.
„Ich will wissen, was die Scheiße
soll“, wiederhole ich betont deutlich.
„Bring mir den Schlüssel“, raunt
Clint. Er hat wohl beschlossen, über meine Unverschämtheit hinwegzusehen. Oder
er weiß wirklich nicht, was die Scheiße soll.
„Wieso sollte ich? Ich hab ihn doch
nicht geworfen.“
Ich zucke mit den Schultern und
schaue um Beistand heischend ratlos in die Runde. Die Blicke meiner Mitschüler
reichen von mitleidig – weil ich ja schon so gut wie tot bin – bis zu
zweifelnd, ob das hier gerade wirklich passiert. Obwohl, halt, da ist ein
Lichtblick. Bettina grinst unverhohlen zu mir rüber. Ihre Solidarität gibt mir
Schwung.
„Wissen Sie eigentlich, dass Sie
mich
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