Make new Memory oder wie ich von vorn begann (German Edition)
gehen wir immer gemeinsam. Aber nicht heute. Ich bleibe im
Treppenhaus stehen und überlege, wo die anderen Ausgänge sind. In Gedanken
gehe ich durch den Flur mit den Fenstern zum Innenhof, der an das Lehrerzimmer
grenzt. Vorbei am Physiksaal geht es zu den Lehrerparkplätzen neben dem
Sportplatz und raus zur Straße. So geht’s! Vereinzelt begegnen mir noch
Schüler, Nachzügler. Sie stürzen aus den stillen Klassenzimmern und rennen mit
den Taschen unter dem Arm hallenden Schrittes davon. Was soll die Eile? Ich
will nicht sofort nach Hause. Nicht heute. Zu lange war ich fort. Ich will
wieder Wurzeln schlagen. Dem Hausmeister sei Dank – die matte Glastür ist noch
nicht verschlossen, die Schule gibt mich frei. Vor mir fahren die Lehrer mit
ihren Kleinwagen vom Parkplatz. Zu meiner Rechten geht’s zum Sportplatz. Links
liegt die Turnhalle, dahinter der Schulhof. Dort muss ich lang. Ich warte noch,
um sicherzugehen, dass meine Freunde weg sind, als mir die Tür ins Kreuz
schlägt. Erschrocken trete ich beiseite. Frau Schmidts kommt raus. Mit einem
flüchtigen Blick nimmt sie mich zur Kenntnis und geht Richtung Parkplatz. Sie
macht mich so wütend.
„Ich würde mich entschuldigen“,
murmle ich.
Sie stoppt, als wären meine Worte
ein Lasso.
„Was hast du gesagt?“
Verflucht! Sie macht kehrt und
kommt direkt auf mich zu. Gleich schwingt sie ihren flammenden Feuerschweif.
Aber ich komme ihr zuvor. Meine Haut platzt, als mir ledrige Schwingen aus den
Schulterblättern wachsen und ich meinen dornenbesetzten Stachel aufrichte. Dann
stoße ich zu.
„Ich sagte, dass Ihr Verhalten
völlig indiskutabel ist. Als Lehrerin ist es Ihre Aufgabe, mich auf das Leben
vorzubereiten. Mir höflichen und respektvollen Umgang mit meinen Mitmenschen
beizubringen. Aber alles, wofür Sie stehen, sollte vom Antlitz der Erde getilgt
werden. Sie sind das Monster unter dem Bett. Ein Kinderschreck, der im
Halbschatten des Wandschranks mit den quietschenden Türen lauert. Ein bellender
Hund hinter dem Lattenzaun, an dem man auf dem Weg zur Eisdiele entlang muss.
Eine Scherbe am Strand. Mag sein, jemand tritt auf Sie. Er wird bluten,
vielleicht sogar heulen. Aber die Wunde wird heilen. Und wenn er zurückkehrt,
wird er Stiefel tragen und Sie unter seinen schweren Sohlen zermalmen.“
Die Überraschung in ihrem Blick
treibt mich an. Ich senke meine Stimme zu einem bedrohlichen Flüstern, wie ich
es aus Horrorfilmen kenne.
„Denken Sie daran, dass alle
Kinder, die Sie heute knechten, bald erwachsen sein werden. Ich werde ein
erwachsener Mann sein, wenn Sie eine gebrechliche, alte Krähe sind und mich
längst vergessen haben.“
„Wie kannst du es wagen…?“,
stottert sie.
Ohne nachzudenken, schlage ich
meine Stirn gegen die Türe. Es tut furchtbar weh. Das Glas bekommt einen Riss
und meine Stirn auch.
„Ich werde jetzt nach Hause gehen,
und sagen, dass Sie mich geschlagen haben. Wie finden Sie das? Unfair? Genau
das ist es. Es ist gemein und unbeschreiblich unfair.“
Sie nickt hastig. Ich kann ihre
Angst spüren. Blut läuft mir über das Gesicht.
„Ich werde nie mehr Angst vor Ihnen
haben! Niemand wird jemals wieder Angst vor Ihnen haben! Wenn Sie in der
nächsten Mathestunde noch dieselbe sind, dann gnade Ihnen Gott!“
„Was?“, stutzt Braun.
„Ich mache doch nur Spaß“, lacht
Nori. „Wollte wissen, ob Sie noch zuhören. Jetzt erzähle ich Ihnen, was
wirklich geschah.“
Ich kriege die Tür ins Kreuz.
Erschrocken trete ich beiseite. Die Schmidts kommt raus. Mit einem flüchtigen
Blick nimmt sie mich zur Kenntnis und geht Richtung Parkplatz. Sie macht mich
wütend, aber ich sage nichts. Während sie noch in ihrem Kofferraum herumwühlt,
gehe ich los. Als ich um die Turnhalle biege, sehe ich vor dem Eingang zum
Schulhof drei Jungs. Einer davon ist Timm Becker. Seine Nase ist geschwollen.
Er sieht mich auch.
„Da!“, brüllt er, zeigt auf mich. Verflucht!
Ich spurte los. Die Jungs auch, mir
hinterher. Meine drei Verfolger haben längere Beine als ich und sind Sportler.
Ich brauche mindestens ein Wunder, um ihnen zu entkommen. Bis nach Hause kann
ich dieses Tempo nicht durchhalten. Ich erreiche die Straße. Flüchtig blicke
ich in das Auto, das neben mir herfährt, sich meiner Geschwindigkeit
anzugleichen scheint. Frau Schmidts sitzt am Steuer. Sie starrt stur geradeaus.
Dann beschleunigt sie und zieht davon. Zu beiden Seiten säumen Gärten die
Straße. Ich höre das Keuchen der Jungs hinter mir. Solange
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