Makroleben

er gerne leben wollte.
    Die Sterne blendeten sich ein und schufen das Universum von neuem.
    „Sie sind nicht verzerrt“, sagte Wheeler. „Wir sind weit unter fünf Prozent der Lichtgeschwindigkeit, aber der Antrieb läuft noch.“
    Die neue Welt begleitete sie noch und hing bewegungslos auf dem Schirm. John dachte an seine Vorfreude bei dem Anflug auf Lea, an das endlose Warten darauf, den Planeten zu sehen. Plötzlich verstand er, daß die Bande, die die Heimat an die Erde und damit an die natürlichen Welten knüpften, das wirkliche Motiv oder ein gutes Teil des Grundes dafür gewesen war, daß sie in das System von Lea gekommen waren. Das ziellose Wandern auf der Suche nach Rohstoffen und Erkenntnissen hatte nicht ausgereicht. Wahllos bestimmte unbewohnte Sonnensysteme hätten den gleichen Dienst getan. Aber allein der Kontakt mit anderen Teilen der Menschheit brachte die besondere Belohnung eines echten Blicks in den Spiegel. Hier würden sie sich nicht so lange aufhalten. Nach einigen Minuten der Untersuchung durch die Scanner würden sie wissen, ob der heimatliche Sonnenraum noch Aktivitäten barg, ob die Erde noch lebte oder nur eine weitere Welt am Wegesrand war.

 
22. Wieder die Erde
     
    Die beiden Makrowelten näherten sich in ihrem Bremsmanöver der Umlaufbahn der Erde in einem Winkel von dreißig Grad zum Äquator der Sonne. Sol lag am unteren Rand des Schirms. John drehte seinen Stuhl herum und sah nach hinten auf Praesepe, 155 Parseks entfernt und mehr als fünfhundert Jahre in der Vergangenheit, wenn man als Maßstab das langsame Kriechen des Lichts anlegte. Er hatte das Licht überholt, das Leas Sonne mehr als fünfhundert Jahre vor Anulkas Geburt verlassen hatte. Er sah zum Rand der Galaxis. Die Sternbilder Stier, Orion, Krebs und Zwillinge standen am Rand der intergalaktischen Finsternis und beherrschten die Schirme. Praesepe war ein Schwärm heller Insekten, die durch die Perspektive der unendlichen Größe im Flug eingefroren zu sein schienen.
    Er drehte sich wieder um, um das Ziel anzuschauen. Sonnenräume sind Strudel von Materie, dachte er. Der Strudel Sonne hat zwei Trillionen Kilometer Durchmesser. Eine Wolke von Wasserstoff bricht zusammen, bildet einen Protostern, und der Gravitationsdruck entzündet den thermonuklearen Ofen des Sterns. Zweihundert Milliarden solcher Öfen aus pulsierendem Plasma umkreisen den Mittelpunkt der Galaxis, aber wir sind hier geboren.
    „Die Sonne macht einen normalen Eindruck“, sagte Wheeler. „Es gibt kein Anzeichen der Anomalie. Gehst du hoch in den Hohlraum und beobachtest die Sache mit allen anderen auf dem großen Sonnenschirm?“
    „Ich ziehe das Observatorium vor“, sagte John. „Mir gefällt der kleine Raum, den du mir zugeteilt hast, mir gefällt der Kantinenbereich und die Arbeitsatmosphäre, die dort herrscht.“
    „John, ich teile meine Aktivitäten gern mit anderen, aber du benutzt das Observatorium zur Flucht. Du weichst allen außer mir aus.“
    „Außerdem interessiert mich das, was du hier tust, ganz ehrlich.“
    „Wenn du nur weißt, was du machst.“ Wheeler saß vor dem Tischschirm in der Mitte des Raums. John konnte nur seinen Rücken sehen, während sie sich unterhielten.
    „Zur Zeit ist es das, was ich will.“ Er dachte wieder über die Zukunft nach, in der das Makroleben ein ganz anderes Gesicht tragen würde. Anulka, Anulka, wo bist du? Diese gigantische Konstruktion muß einfach dazu in der Lage sein, dich wieder zum Leben zu erwecken. Er wußte, daß dies ein törichter Wunsch war. Ein Leben, das auf diese Art heraufbeschworen wurde, konnte niemals der Person gehören, die er gekannt hatte. Trotzdem überbrückte sein Geist beharrlich Zeit und Raum, als sei er ein Wahnsinniger, der ein Zimmer nach einem Gegenstand absucht, der unwiederbringlich verloren ist. Seine Träume, seine geheimsten Wünsche, die sich an den kleinsten Einzelheiten festklammerten, um sie zu völlig unangemessener Größe aufzublasen, brachte er nicht unter Kontrolle.
    „Hier haben früher Menschen gelebt“, sagte John. „Auf Mars und im Jupitersystem, war es nicht so?“ Wheeler war ein dunkler Umriß, der auf den Schirm herabsah.
    „Es kann höchstens noch Stunden dauern, bis wir wissen, ob da noch etwas am Leben ist“, sagte er. „Wir lauschen auf jegliche Art von Geräusch. Frank schaltet sich zu und sagt es uns, wenn etwas aufgefangen wird. An Funkverkehr höre ich nichts …“ Robs Stimme zitterte leicht, als habe er plötzlich Angst