Makroleben

Titel: Makroleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Zebrowski

Vom Netzwerk:

Lichtgeschwindigkeit. Die Zwillingssonnen von Lea verschwanden hinter ihnen aus der Sicht und wurden von einem wachsenden schwarzen Kreis ersetzt, der langsam die Praesepe-Gruppe verschlang. Die beiden Sterne hatten sich langsam von Gelb zu Orange, von Rot zu einem tiefen Dunkelrot wie Kohlen verändert, um schließlich ganz auszugehen. Jegliches Licht, das die Makrowelten verfolgte, verschob sich in den Infrarotbereich, der für das unveränderte menschliche Auge nicht sichtbar war, von den Navigations-Scannern aber noch aufgenommen wurde.
    John beobachtete die Dunkelheit, die die Sonnen Leas verschluckt hatte und nun das Universum hinter ihnen verschlang. Er war im Verlauf des letzten Monats jeden Tag einmal in das Observatorium gekommen und hatte seine restliche Zeit zwischen der Ausbildung für die Verbindung, den Bibliotheksausgängen und der Beobachtung der Beschleunigung aufgeteilt. Manchmal saß Rob bei ihm in dem Schirmraum, aber oft war John allein, während Wheeler seiner Arbeit nachging.
    Sol lag 150 Parseks vor ihnen in einer Region mit spärlich verteilten roten Sonnen. Durch die wachsende Geschwindigkeit wurden die Lichtwellen, die von vorn auf die Makrowelten trafen, bis zur Unsichtbarkeit verkürzt. Sol wurde gelbgrün, tiefgrün, violett, bis die sich verkürzenden Lichtwellen ultraviolett und damit nur noch für die Navigationssensoren sichtbar wurden. Der Bereich um Sol wurde zu einer schwarzen Scheibe, die sich zu einer Begegnung mit der Schwärze hinter ihnen ausweitete.
    Während die beiden Welten sich bis auf neunzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigten, bedeckten die beiden schwarzen Scheiben immer größere Teile des Himmels, bis nur noch ein Band von Sternen übrigblieb, das sich zwischen zwei scheinbar leere Halbkugeln schob. Auf der Seite von Sol war das Sternenband von Violett, Blau und Grün eingerahmt. Gelb lag im Mittelpunkt des Rings. Auf der Seite von Praesepe war das Band orange und rot, und es verblaßte zu der infraroten Halbkugel, in deren Zentrum Lea lag.
    Der große Vorhang von Farben, der im Weltraum hing, wurde schmaler, bis zum Schluß nur noch das dünne Band von gelben Sternen im Mittelpunkt des Sternenbogens übrigblieb. John erwartete fast, daß sich die beiden Halbkugeln treffen und die restlichen Sterne des sichtbaren Universums verdecken würden. Allmählich erreichte die Halbkugel aber ihre größte Ausdehnung und begann wieder zu schrumpfen, als stieße sie die Halbkugel hinter den Makrowelten zurück, die noch in Ausdehnung begriffen war. Der Ring von gelben Sternen bewegte sich nach vorn und umringte ihr unsichtbares Ziel, als wolle er ihn markieren.
    Es ist nicht wert zu leben, wenn soviel verborgen ist, dachte John, als er in das verdunkelte Universum hinaussah. Eine mutigere Logik erhob jedoch in ihm ihre Stimme. Wir sind Splitter, Bruchstücke von Wahrnehmung und Bewußtsein, und wir hören auf, Individuen zu sein, wenn sich unsere persönlichen Grenzen zur Unendlichkeit öffnen und wir allwissend werden würden. Wir wären dann andere Wesen. Die Individualität verlöre ihre Bedeutung. Wir schwimmen als isolierte Punkte in einem Meer des Unbekannten. Die Punkte nähern sich einander, so gut sie können. Sie erreichen dabei nur eine unvollkommene Bekanntschaft, aber verschmelzen können sie nicht. Plötzlich rührte sich in ihm die mögliche Offenheit seines Lebens und zog ihn vorwärts. Die Dunkelheit vor ihm war ein Feld von Möglichkeiten, die Dunkelheit hinter ihm ein schwarzer See von Dingen, die für immer verloren waren. Er erhielt die Verbindung, die erweiterte Identität, die für ein endloses Leben gebraucht wurde, die Erkenntnisse und den Weitblick von Personen, die vor ihm durch das Leben von Welten gegangen waren und ihm ihr Bestes hinterlassen hatten. Der umfassendere Weitblick war sicher in der Lage, das Gefühl von Kleinheit und Mangelhaftigkeit zu vertreiben, in das er versunken war.
    Wheeler kam von dem äußeren Arbeitsraum herein und setzte sich neben ihn. „Es dauert jetzt noch ein paar Minuten, und dann sind wir für den Sprung bereit. Angeblich sollen wir uns dieses Mal nicht ganz so desorientiert fühlen.“
    Auf dem Schirm vor John schimmerte die Begleitwelt in ihrem Feld. Außer einem flüchtigen Gefühl, das sich aus dem Wissen ergab, hatte man kein Gefühl von Bewegung.
    „Dreißig Sekunden“, sagte Wheeler.
    Plötzlich hatte John das Gefühl, als stürze er ab, als sei er nun in der Lage, ihre enorme Geschwindigkeit