Mal Aria
Grant Ross, war dort als General stationiert. Erste Kindheitserinnerungen: Ein Leopard, der auf der Veranda liegt. Die roten Blätter der Rhododendronbüsche. Zwei Träger neben einer Sänfte, in der sich sein Vater vor Fieber krümmt. Und davor? Was geschah davor? Diese Frage faszinierte Ross, noch in hohem Alter. Bevor die Erinnerung einsetzt, gibt es bei jedem von euch Menschen ein dunkles Loch, die tief empfundene Zeit der frühen Kindheit fällt unwiederbringlich hinein. Der Deckel schließt sich. Ross betrachtete ein Bild von sich. Ein Vierjähriger mit einem weißen Hasen auf dem Arm: Was dachte man, wovor fürchtete man sich? Wie fühlte sich das Fell des Hasen an? Biss einen der Hase? Man weiß nicht, was dieser Mensch erlebt hat. Man kennt ihn nicht. Man ist dieser Mensch, den man nicht kennt.
Ross fragte sich: Ist es möglich, dass man sein erstes Gedächtnis verliert, so wie einem die Milchzähne ausfallen?
Ist es möglich, dass die Gehirnzellen im Alter zwischen vier und fünf Jahren durch neue ausgetauscht werden?
Was geschah mit all diesem früh erworbenen Wissen? Wohin verschwand es?
Er war ein besonderer Mensch ohne besondere Begabung. Aber er interessierte sich für die Poesie, die im Rätsel des Lebens lag, für seine Schönheit. Und die konnte er überall finden. Sogar im Magen einer Mücke.
Der junge Ross wollte Schriftsteller sein, doch sein Vater erteilte ihm einen Befehl: Sohn, du wirst Militärarzt. Ross verbrachte einige Jahre bei der britischen Armee in Madras, Mysore, Burma, Bangalore, später in Secunderabad und Kalkutta. Vormittags kümmerte er sich etwas freudlos um seine Patienten, nachmittags spielte er Polo auf seinem burmesischen Pony, er malte die Flüsse und Berge, schrieb Fabeln und Gedichte bis tief in die Nacht, in seinem ersten Roman trifft ein Inselkind auf ein Monster. Ross lebte, als ob er lieber etwas anderes täte.
Natürlich versorgte er in Indien unzählige Malaria-Patienten. Natürlich hatte er von Laverans Tierchen gehört. Doch es gelang ihm nicht, sie unter dem Mikroskop zu sehen, und weil Ross auch ein Besserwisser war, tat er Laverans Entdeckung als Humbug ab. Bis zu einem Besuch in London, 1894 , bei dem er den Mediziner Patrick Manson kennenlernte. An einem regnerischen Nachmittag ließ Manson den jungen Ross durch sein Mikroskop schauen.
Da zuckte der Beweis vor seinem Auge. Frische Parasiten wimmelten in menschlichem Blut; und das, was so wunderbar lebendig war und vor ihm zappelte, das war der Tod. Wie kamen die Tierchen hinein? Wo war die Eingangspforte? Und vor allem: Wie konnten sie aus dem abgeschlossenen, menschlichen Röhrensystem wieder entweichen? Wer war der Reiter, der sie in der Dunkelheit mitnahm, zum nächsten Menschen?
Manson hatte einen Verdacht: ein Insekt. Schon bei der Elephantiasis hatte er festgestellt, dass die Erreger durch eine Mücke übertragen werden. Wieso konnte es bei der Malaria nicht genau so sein? Ross ließ sich von Mansons Enthusiasmus anstecken, er sollte die kühne Vermutung in Indien beweisen, er hatte etwas, was Manson fehlte: Malaria-Patienten. Nicht in der Luft sollte er die Tierchen suchen, nicht im Wasser, nicht im Menschen wie Laveran, sondern im Körper einer Mücke. Kein Mensch hatte das vor ihm getan. Eine wahnsinnige Idee, davon abgesehen, dass sie womöglich ein Hirngespinst war, hatte Ross keine Ahnung von Moskitos. Er sagte Ja.
Die Entschlüsselung des Malaria-Rätsels war damals, was die Mondlandung in den 1960 ern war. Die Deutschen waren dran, die Russen, die Franzosen, die Italiener sowieso – und nun ein Engländer.
Die Katastrophe, die sich wenige Jahre zuvor, beim Bau des Panama-Kanals ereignet hatte, saß der Welt noch in den Knochen. Ferdinand de Lesseps, der Kanalbauer, ein französischer Diplomat, hatte von Malaria gewusst. Aber nichts von einem Insekt. De Lesseps wollte mit aller Macht einer Epidemie zuvorkommen. Noch bevor die Arbeiter in Panama anreisten, ließ er hochmoderne Krankenhäuser bauen. Mit blühenden, zauberhaften Gärten. In Colón hatten die Patienten Blick auf das Meer, und die tropische Luft wehte durch die offenen Räume. Ja, und die Füße ihrer Betten, die Füße der Betten standen in Wassertöpfen. Hübsche, kleine Wassertöpfe, um Ameisen und Spinnen am Hochklettern zu hindern. Darin brüteten wir.
Zweiundzwanzigtausend Menschen starben im Fieber. De Lesseps verlor Frau und Kind, die französische Regierung zerbrach nach dem Desaster. Die weißen Männer seien
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