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Mal Aria

Mal Aria

Titel: Mal Aria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmen Stephan
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. August 1897 war ein wolkiger, heißer Tag. Ein Gehilfe hatte Ross vor einigen Tagen eine Flasche mit Moskitos gebracht: braune, graue und neuerdings welche mit gefleckten Flügeln. Von acht mit Menschenblut vollgesogenen Moskitos waren nur noch zwei übrig. Im siebten Magen fand er auf einmal eine kugelförmige Zelle, darin: ein schwarzes Pigment. Spielte die Natur ihm wieder einen Streich? Am nächsten Morgen tötete und öffnete er das letzte Insekt, in fieberhafter Erregung: An seiner Magenwand fand er noch größere Kugelzellen, sie hatten einen Tag länger Zeit gehabt, sich zu entwickeln. In allen lag ein schwarzes Körnchen. Hier war etwas in eurem Blut zugange, das einem genauen Plan folgte. Mensch, Moskito und Malaria operierten zusammen. Das war der Beweis.
    Nun musste das Puzzle zusammengesetzt werden: Im Laufe der nächsten Monate fand er heraus, dass die Geißelfäden die Samenfäden der männlichen Zellen waren. Sie wirbelten umher, näherten sich einer Mutterzelle – und verschwanden in ihr. Die kugelförmigen Zellen mit den schwarzen Punkten, das waren die befruchteten weiblichen Zellen. Sie bohrten sich in die Magenwand des Insekts und entwickelten sich darin fort. Diese kleinen, nichtsnutzigen Dämone hatten eine zweigeschlechtliche Fortpflanzung, wie die höchst entwickelten Wesen. Ross dichtete voller Freude:
    Hab ich dich endlich, endlich gefunden,
    Du, dessen Gifte Millionen verwunden.
    Millionen von Menschen werde ich retten,
    Leg ich dies kleine Ding an Ketten.
    Doch der Kreis war noch nicht geschlossen. Was geschah mit den schwarzen Zellen, wohin wanderten sie? Der Engländer goss die Mücken in Formaldehyd und schickte das Kunstwerk nach London zu Manson. Der war schon lange überzeugt: Die Parasiten gelangen mit dem toten Insekt ins Wasser, der Mensch trinkt das giftige Gemisch und erkrankt. Ross war sich sicher, dass es zwei unterschiedliche Wege geben musste: einen hinaus und einen hinein. Er glaubte, dass die Parasiten durch die Ausscheidungen der Mücke in den Menschen gelangten; durch die Luft, durch die Erde? Doch die Natur ist nicht so dumm. Sie geht keine Risiken ein. Die Natur stellt sicher, dass der Parasit ohne Umwege ins Blut des Menschen schlüpft.
    Der Engländer wurde nach Kalkutta versetzt. Dort wütete die Pest. Kein Mensch ließ sich von ihm in den Finger stechen. Sobald der weiße Mann mit der Nadel kam, befürchteten die Einheimischen, er wolle sie mit Pest impfen. Sie rannten vor Schreck in den Urwald. Vögel ließen sich leichter fangen als Menschen. Der Geier Ross behalf sich mit einer Krähe, zwei Tauben, vier Lerchen und sechs Sperlingen. Die Vogelmalaria ähnelte der Menschenmalaria. Er setzte die Tiere unter ein Moskitonetz; und ließ die Mücken ins Federgefängnis ausschwirren.
    Trotz allerhöchster Konzentration, größter Anstrengung konnte Ross den schwarzen Zellen lange Zeit nicht zu ihrem Ziel folgen. Sie hingen an der Magenwand, verwandelten sich zwei weitere Male aufs Phänomenale – und verschwanden. Die Natur verlangte wie immer einen Steinbruch voller Geduld. Sein Gehirn sei zu Matsch geworden, schrieb Ross an Manson. Stundenlang durchsuchte der Engländer jede einzelne Zelle. Seine Augen klappten müde nach unten. Eine Stimme, die direkt aus der Tiefe des Insekts zu kommen schien, flüsterte ihm zu:
Folge den Sporen, folge den Sporen
. Durch den Blutkreislauf des Moskitos schienen sie in seinem ganzen Körper verstreut zu werden. Ein weiteres Jahr verging.
    Am 4 . Juli 1898 , endlich, konnte Ross mit seinen Augen den fadenförmigen Körpern bis zum Kopf der Mücke folgen. Immer mehr wurden es. Als strömten sie allesamt einem geheimnisvollen Zentrum zu. Sicher navigierten sie durch den Körper des fremden Wesens, zu dem Ort, an dem es für uns um Tod und Leben ging. An dem wir zu den Komplizen der Dämonen wurden. Ob wir wollten oder nicht.
    Der Engländer riss den Kopf einer Mücke ab, und daraus flossen Körperchen. In einer Art Gang aus der Speicheldrüse wimmelten Hunderte in jeder einzelnen Zelle, und dieser Gang führte, wie sollte es anders sein, in die Spitze des Stechrüssels – an den äußersten Rand der Stichwaffe.
    Ross hatte den Zyklus enthüllt. Ein einziger Mensch sah das Unvorstellbare. Im Jahr 2004 , in einem Krankenhaus in Rio de Janeiro (in dessen Flur die Wände seit einiger Zeit oben beige und unten blau gestrichen waren, weil der Klinikchef sich in eine Schwester verliebt hatte, die eine Uniform aus beiger Bluse und

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