Mal Aria
wie abgeschnittene Pflanzen in der Sonne gewelkt, so wurde es in der Welt berichtet.
Ronald Ross reiste auf einem Schiff über Gibraltar und Malta zurück nach Indien. Er fuhr an Schlössern, Ruinen und schneebedeckten Bergen vorbei, ungesehen, denn seine Augen klebten am Mikroskop. Auf dem Schiff hatte er Kakerlaken gefangen. Er tötete und sezierte sie, um deren Parasiten mit den Geißeln zu vergleichen. Ross besaß keine kalte Genialität, ihm fehlte fachliche Brillanz. Sein Wille brachte ihn auf den Weg. Auf diesem Weg benutzte er alles, was ihm in die Hände kam, um Licht in die dunkle Höhle zu bringen, in der ich saß.
In den Baracken, im Hospital von Secunderabad, schwirrten zwei unterschiedliche Arten von Mücken vor seiner Nase herum. Nur welche? Ross hatte in England kein wissenschaftliches Werk über Insekten auftreiben können (oder sich nicht richtig darum bemüht), er kannte weder den Bau der Moskitos noch ihre Stellung im Tierreich. Der spätere Nobelpreisträger nannte sie schlichtweg: geringelte und graue Moskitos. Später kam noch eine dritte Gruppe dazu: mit gefleckten Flügeln. Er fing ihre Larven, hielt sie in Gefäßen, bis aus den Puppen die fertigen Tiere krochen. Ross ließ sie an den Kranken saugen, schnitt sie anschließend fein säuberlich auf – und fand unter dem Mikroskop tatsächlich Halbmonde, Laverans Halbmonde. Es stimmte also! Die Tierchen reisten im menschlichen Blut in das Innere der Mücke. Die Halbmonde schwollen an, rundeten sich ab. Aus manchen dieser Halbmonde drangen Geißelfäden, die lebhaft zuckten. Im nächsten Augenblick rührten sie sich nicht mehr; und verschwanden. Wie durch ein Wunder. Was waren sie? Wohin gingen sie? Unmöglich war es, für einen Menschen zu erkennen, der durch ein miserables Mikroskop in den Magen einer Mücke blickte, wohin galaktisch winzigere Fäden ihrer Bestimmung folgten. Die Natur ordnete offenbar eine Verwandlung an. Wohin verschwindet das erste Gedächtnis des Menschen? Wohin verschwinden die Geißelfäden im Innern der Mücke? Manson ermutigte ihn. Die Natur erzeuge solche komplizierten Phänomene nicht umsonst.
»Folge dem Flagellum«, schrieb Manson seinem Schützling immer wieder.
Folge dem Flagellum.
Stumm hingen Ross’ Augen an dem Mikroskop, dessen Schrauben von seinem Schweiß an Stirn und Händen rosteten.
Es war schon alles da, er musste es nur lesen.
Wie geduldig muss man sein, wie besessen, wie verliebt, wie zäh, wie grausam, um tausend Moskitomägen zu durchforsten?
Er tötete, aber tat ich das nicht auch? Hatte er nicht einen höheren Grund als niederen Hunger? Ross verlor sich im Detail. Er liebte das Detail. Die Zellen waren seine Himmelskörper. Viele seiner Artgenossen betrachteten die Dinge mit einem wissenschaftlichen Drang, sie waren auf der Suche nach einer erhellenden Wahrheit. Er nahm sich die Zeit, ihre Schönheit zu erforschen. Das Schöne war in allem zu finden, was man lange genug betrachtete. Das Schöne lag in der Hinwendung.
Mit offenem Mund saß Ross vor seinem Mikroskop. Drei Stunden lang verfolgten seine Augen einen einzelnen Geißelfaden, der andere Zellen attackierte, aber selbst verschont blieb. Im Juli 1895 schrieb Ross an seinen Lehrer Manson: »Als er dem letzten Phagozyten kräftige Rippenstöße erteilte, machte dieser schließlich kehrt und lief heulend davon. Ich kann es nicht beschwören, dass ich ihn heulen hörte, aber ich habe ihn heulen sehen.« Eine Novelle wolle er über diese Begegnung des Geißelfadens schreiben, im Stile von »Die drei Musketiere«.
Die Moskitos seien oft widerspenstig wie Esel, klagte der Engländer, weil sie nicht stachen, wenn er es wollte. Die Hitze blies ihm wie ein Backofen in sein Hirn. Seine Augen brannten wie das Feuer in der Hölle. Er wurde dünn und schwach wie Geierfraß. Nächtelang hatte er seine Hände am Mikroskop, konnte die Fliegen nicht wegschlagen, die um seinen Kopf schwirrten. Aber er machte weiter.
Zwei Jahre später kam der Tag, der als
Mosquito Day
in die Geschichte eingehen sollte. Immer wieder hatte Ross auch leere Mägen vorgefunden. Kein einziges Flagellum, dem er folgen konnte. Hatte er die falschen Mücken? Welche hatte er überhaupt? Wie viele Hunderte von Mückenarten gab es, allein in Indien? Eines Tages sah er in einem Rasthaus ein zartes Wesen, das seinen Leib von der Wand abstehen ließ und schwarze Flecken auf den Flügeln hatte. Das erste Mal, dass er eine von uns sah. Ohne zu wissen, wen er vor sich hatte.
Der 20
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