Malefizkrott
Bund zu mir. »Die macht ihren Weg! Hat sie dir nicht gefallen?«
Er zog die Brauen hoch. »Der Text oder die Person?«
»Na, geflirtet hat sie ja ordentlich mit dir.«
»Geh mir fort.« Er pflückte meinen Handhaken aus seinem Hosenbund und strebte dem Kaffee zu. Ich stand auf und folgte ihm auf Tuchfühlung.
»Magst du keine Grübchen?«
»Lisa! Ich könnte ihr Va…« Er biss das vertrackte Wort von der Zunge und schluckte Bitterkeit. »Ich könnte ihr Großvater sein.«
»Sei froh, dass du es nicht bist. Sahneschnittchen wie sie sind ein Fluch für die Väter.«
»Lisa! Du bist ungerecht. Du kennst sie doch überhaupt nicht!«
»Immerhin kenne ich ihre schmutzige Fantasie.«
»Was nicht gleichbedeutend ist mit ihren Wunschvorstellungen, Lisa. Der Text ist eine Überspitzung. Daraus spricht keine Zustimmung, sondern eher Entsetzen und Verachtung.«
»Na ja, aber ausgedacht muss sie es sich schon haben. Also mindestens einmal durch ihren Kopf musste es durch. Nicht wahr?«
»Vielleicht dient es als … als Therapie. Sie ist siebzehn. Sicher hat sie erste sexuelle Erfahrungen, und vielleicht haben sie ihr Angst gemacht, vielleicht beunruhigt sie das Paarungsspiel. Mit Sicherheit hat ihr Vater sie nicht auf eine solche Reise nach Barcelona gelassen. Aber sie … nun, sie hat Fantasie. Man kann das Schreckliche auch benennen, um mit der Furcht davor fertigzuwerden. Es sind Bilder für etwas, was jeden halbwegs sensiblen jungen Menschen erschrecken muss. Der Egoismus der eigenen Altersgruppe, der unvermutet in Brutalität umschlägt und jeden jederzeit zum Opfer macht.«
Wir starrten uns in die Augen. Beide hatten wir es erst unlängst erlebt. Meine Wohnung roch noch nach Ruß und frischer Farbe. Und Richard hatte den letzten Rest seines fragilen Glaubens verloren, dass irgendetwas auf der Welt den richtigen Kurs nahm.
»Hast du das Buch gelesen?«
»Nein. Werde ich auch nicht.« Er nahm den Kaffee wieder hoch. »Es sind mir dann doch zu viel Feuchtge biete. Ich will auch gar nicht wissen, was diese Ungeheuer mit dem 13-jährigen Mädchen anstellen, das sie in La Grande Motte entführt haben, auch wenn es nur Fiktion ist. Ich wollte nur zu bedenken geben, dass Lola Schrader nicht notwendigerweise irgendetwas gemein haben muss mit diesen auf Sex und Drogen versessenen Luxusjugendlichen, die sie beschreibt.«
»Aber sie gefällt dir!«
»Lass gut sein, Lisa. Und wenn schon.« Seine Augen blitzten schräg. »Für einen Mann in meinem Alter sind alle Mädchen unter zwanzig entzückend.«
Ich lachte.
Ein winziges Lächeln huschte ihm durch die Mundwinkel.
»Und im Grunde fasziniert uns Sex und Gewalt im mer!«, behauptete ich und zupfte die Knöpfe seiner Wes te auf. »Wenn der Gorilla die Gorilline packt und sich ihr Hinterteil vornimmt.«
»Hm«, grunzte Richard diskussionsmüde und nahm einen Schluck Kaffee.
Ich knöpfte weiter. Es ist alles ein Spiel. Man muss sich nur auf die Regeln einigen. Richard ergriff niemals die Initiative. Er wusste, ich konnte es nicht ausstehen, wenn Männer an mir herumfingerten, um meine Paarungsbereitschaft zu testen. Deshalb klappte es bei mir auch so schlecht mit den Männern. Sie fingerten immer, meist verbal, manchmal auch digital, immer suchten sie das Löchlein. Und allein mit einer Frau im Fahrstuhl bedauerten sie, dass die Zivilisation zwar Fahrstühle hervorgebracht hat, nicht aber zugleich die Erlaubnis, den Moment der Zweisamkeit mit einer Möse auszunutzen.
Ich löste Richards Gürtelschnalle. Er erwartete, dass frau seine Barrieren überwand, beispielsweise die Knöpfe von Weste und Hemd. Nicht, weil er sich nicht für attraktiv hielt – dazu tat er zu viel, um gut auszusehen –, sondern weil er Machtmensch war. Mit dem Zucken einer Augenbraue entschied er, ob bei einer internen Besprechung gelacht wurde oder nicht. Seine Berufswelt hatte er im Griff, privat war er gern passiv bis zur Handlungsunfähigkeit. Deshalb klappte es bei ihm auch nicht mit den Sahneschnittchen, die ihm ihren Hintern hindrehten.
Die einzige für eine Partnerschaft geeignete Qualität, die er besaß, war unwandelbare Treue. Ansonsten konnte er nichts bieten, weder Interesse noch Aufmerksamkeit. Er hörte nicht zu, er wollte nicht wissen, was ich dachte oder fühlte. Er vertraute mir, aber er vertraute mir nichts an. Er redete nicht gern, schon gar nicht über sich und seine Gefühle. Das unterschied ihn nicht von anderen Männern, aber im Unterschied zu ihnen wusste er es, und
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