Malefizkrott
eine Branche, in der meine Telefonnummer derzeit gehandelt wurde – allerdings nicht mit männlichem Präfix –, nämlich unter polnischen, ukrainischen, ungarischen und tschechischen Ex- und Noch-Nutten auf der Suche nach in der Sexindustrie verschollenen Schwestern. Ein Link zum letzten Fall, der mich meine Tapeten und Richard seinen Glauben an den Sinn der Nächstenliebe gekostet hatte. Ich ging im Geist die Clubs und Studios durch, in denen ich mich am Wo chenende herumgetrieben hatte, um eine Jana aufzu treiben, die es als verdorbener tschechischer Engel ir gendwohin verschlagen hatte.
In dem Etablissement, in dem sie sich laut Website hätte befinden müssen, war sie nicht gewesen. Ich hatte eine nette Unterhaltung mit dem Chef der Four Roses über den Generationenwechsel gehabt, sein Sohn wollte das Table-Dance-Lokal übernehmen. In anderen Clubs stellte man besser keine Fragen. Mit den Arachnes hatte ich später über Grenzgebiete geflachst und darüber, dass sich ihr SM-Club in der Grenzstraße am äußersten Rand eines Industriegebiets befand. Im Büro hatte das Buch mit dem callgirlroten Cover gelegen. Über Kunden äu ßerte sich die Domina nicht, aber es war unzweifelhaft ein Kunde gewesen, der ihr das Buch dagelassen hatte. »In den Shop kann ich es aber nicht stellen«, hatte sie erklärt. »Was die Kids tun, ist voll bizarr. Aber Fisting an einer 13-Jährigen, das kannst du als Literatur verkaufen, nicht aber als Pornografie in einem Shop für BDSM. {6} « Jana hatte ich dann in einem Schuppen in Ludwigsburg aufgetrieben.
»Und was für Dienste haben Sie sich vorgestellt, Herr Schrader?«, fragte ich den Kunden. »Französisch?«
»Was … äh … Nein. Ich unterrichte Rhetorik.«
»Ah so.«
»Und wie gesagt, lieber nicht am Telefon. Wann kön nen Sie kommen?«
»Das kommt drauf an, wohin.«
»Dann nehmen Sie den Auftrag an?«
»Welchen Auftrag?«
»Sie müssen verstehen, aus bestimmten Gründen kann ich unsere Adresse nicht ohne Weiteres an Fremde wei tergeben.«
Ich musste lachen. »Herr Schrader, Sie glauben doch nicht im Ernst, dass ich nicht in spätestens einer Stunde weiß, wo Sie wohnen.«
»Gut, dann in einer Stunde. Dann sehe ich auch gleich, was Sie können!« Damit legte er auf.
Wer sich provozieren lässt, hat schon verloren. Wahrscheinlich wäre ich jetzt noch am Leben, wenn ich mich gezwungen hätte, Michel Schrader nicht zu beweisen, was ich konnte. Aber Lehrerstimmen packten mich im mer noch an Häkchen meiner Kindheit. Mein Vater war zu früh gestorben, als dass ich ihm hätte beweisen können, dass ich mehr war als nur ein Mädchen. Das ist meine Ausrede, warum ich habe handeln müssen.
Ich orientierte mich schnell im Netz. Lola Schrader – Malefizkrott, Amazon-Verkaufsrang 35.245, kartoniert, 9,90 Euro. Das Buch war vor Weihnachten bei Yggdrasil in Tübingen erschienen. Der Verlag verriet auf seiner eigenen Seite, dass Lola Schrader die Tochter der Schauspielerin Marlies Schrader war. Bei Google Bilder er schien eine schmale Brünette. Ich erinnerte mich. Sie pil cherte meist eine Exfreundin, die noch ein bisschen intrigierte, ehe sie verlor. Sie gehörte einer Filmagentur in München. Tochter Lola Schrader war ihrem Facebookprofil zufolge Fan von Tokio Hotel. Von ihrem Gesicht sah man vor lauter Haaren nichts. Sie hatte 156 Freun dinnen. Unter ihnen erkannte ich auch den Jungen wie der, der bei der Lesung gewesen war: Nino Villar. Lola wohn te in Stuttgart-Vaihingen. Schule: Fanny-Leicht-Gymnasium.
Michel Schrader zeigte sein gelehrtes Gesicht auf der Seite der Musikhochschule im Bereich Figurentheater. Dort prangte auch seine Privatadresse. Er wohnte ihm Österfeldgewann, Stuttgart-Vaihingen. Spaßeshalber schaute ich noch nach, ob er in einem Online-Telefonbuch verzeichnet war. Er war es nicht. Das Ganze hatte mich neun Minuten gekostet.
Umso mehr Zeit hatte ich für den Kleiderschrank.
Schrader hatte mich mit Herr Nerz angeredet, also sollte er auch einen bekommen. Aus rational nicht nachvollziehbaren Gründen kam es mir außerdem darauf an, dass er mich nicht gleich als Gast von Lolas Lesung wiederkannte. Ich wählte den dunkelgrauen Anzug, ein weißes Hemd, eine Durchschnittsvertreterkrawatte, schwarze Schuhe und den Trenchcoat. Ans Handgelenk schnallte ich eine von den klobigen Tiefseetaucheruhren, die Männer so lieben. Das Haar ölte ich nach hinten.
»So, ziehet Sie wieder amol in den Krieg?«, fragte Oma Scheible im Treppenhaus. »Passetse uf,
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