Malefizkrott
dann für meinen Freund gehalten? Na gut, warum nicht. Richard war auch über fünfzig.
Richard! Er hatte eine Beziehung zu dem Buch. Aber er hätte kein Feuer gelegt. Immerhin kannte er die damaligen Personen höchstwahrscheinlich in ihrer heutigen Gestalt. Die rätselhafte Marie Küfer war seine erste große romantische Liebe gewesen. Nur dass sie in ihm natürlich nicht den Mann gesehen hatte, der er in seiner eigenen Vorstellung gewesen war, ein Thalheim, ein Ehrenmann in verzweifelter Lage, der Einzige, der sie selbstlos lieb te, sondern vermutlich ein geschlechtsloses Ding zwischen Mädchen und Pickelbub. Heute allerdings konnte er ihr beweisen, dass er immer Thalheim gewesen war, indem er ihr den Dienst erwies, das verräterische Buch zu vernichten. Was auch immer es verriet.
Und ein Buch vernichten heißt: es verbrennen. Das ist nicht nur ein symbolischer Akt. Es mindert auch das Risiko, dass es ein anderer für sich entdeckt, beispielsweise im Hausmüll auf dem Weg zur Müllverbrennung. Wie schwierig andererseits die individuelle Buchverbrennung ist, hatte Richard uns in Ursprungs Laden geschildert. Es wäre für ihn heute nicht leichter gewesen als damals, denn er gehörte nicht zu den Menschen, die sich das eigene Heim mit einem Kamin gemütlich gemacht hatten.
Also hatte er das Buch in den Stapel zurückgesteckt und … Alles Käse mit Spatzen! Und dennoch waren wir extra eine Dreiviertelstunde zu früh dort gewesen, damit er in aller Ruhe – den Bücherfreund vorgebend – nach diesem Buch suchen konnte, das sich dann sehr schnell eingefunden hatte. Und womöglich enthielt dieses Buch etwas, von dem er uns nichts erzählt hatte, etwas ungeheuerlich Entlarvendes, etwas Brandaktuelles, das je mandem das Genick brach, einem Wolfgang oder Wolfram Soundso, Ehemann von Marie Küfer, der heute Bun despräsident war …
Der hieß allerdings derzeit Horst.
Also alles Unsinn!
Richard hätte das Buch ja wirklich auch nur stillschweigend einstecken müssen, um es später woanders zu verbrennen. Oder zu schreddern! In Schnipsel zerreißen, dem Wind übergeben. Es war definitiv möglich, ein Buch zu vernichten, ohne einen Buchladen abzufackeln.
Ich atmete aus. Lisa Nerz, du musst nicht allen Menschen alles zutrauen. Irgendwo liegt die Grenze zwischen Lebenserfahrung und Misstrauen.
Nur wo? Bitte!
8
Ich suchte im weltweiten Netz gerade nach Buchbindern im Gäu, da klingelte mein Handy. Unbekannte Nummer.
»Ja?«
»Spreche ich mit Herrn Nerz?«
»Wie man’s nimmt.«
»Michel Schrader hier! Ich brauche Ihre Dienste. Am besten wird sein, Sie kommen gleich bei uns vorbei. Dann können wir alles in Ruhe besprechen und den Vertrag fertig machen.«
»Einen Vertrag?«
»Oder wie ist das bei Ihnen in der Branche üblich?«
Eine Stimme, die es gewohnt war zu schicken. Das Bild des filigranen Herrn aus Ursprungs Laden gesellte sich dazu. Der aufgeregte Vater, der selig lächelnde Verleger, die kindliche Autorin. Über den schweren Verlust, den die Buchhandlung Ursprung für das Stuttgarter Kulturleben bedeutete, hatte man die arme Krott und ihr ambitioniertes Büchlein ganz vergessen.
»Ich bin der Vater von Lola Schrader.«
»Schön für Sie. Ob es allerdings für Lola auch schön ist …«
»Sie lesen vermutlich keine Zeitung!«, unterbrach er mich. Er klang wie mein letzter Deutschlehrer: Ulysses in den Augen, Grundgesetz in der Tasche, Goethe in den Nasenfalten. »Und Sie haben sicher auch noch nie von Lola Schrader gehört. Nun ja, in Ihrer Branche kommt man wohl nicht zum Lesen.«
Von welcher Branche redete er eigentlich? »Meinen Sie Bücher?«
»Jaha!« Mein Telefon nickte.
»Tut mir leid, ich bin Internetanalphabet.«
»Das spielt eigentlich keine Rolle. Sie sollen das Buch ja nicht lesen. Und wie gesagt, am besten wird sein, Sie kommen gleich einmal bei uns vorbei. Am Telefon möchte ich das nicht besprechen. Und wir können auch gleich einen Vertrag machen. Falls das in Ihrer Branche üblich ist.«
Zum Teufel mit meiner Branche! Was textete der eigentlich? Ich versuchte zu peilen. »Herr Schrader, wie sind Sie auf mich gekommen? A: über eine Zeitungsanzeige, B: übers Internet, C: zufällig, D: Ich bin Ihnen empfohlen worden. Bitte ankreuzen.«
Der Lehrer trudelte einen Moment. »Na, wenigstens haben Sie Humor.«
Ich habe keinen Humor!
»Man hat Sie mir empfohlen. Sie sind in der Branche ja nicht sonderlich bekannt. Eine Website haben Sie auch nicht.«
Es gab eigentlich nur
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