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Malefizkrott

Malefizkrott

Titel: Malefizkrott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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gell!«
    In Büchern nannte man eine Wiederholung Leitmotiv. Alte Leute schufen ständig Leitmotive. Ein Wort, das es, wie ich sicher wusste, auch im Englischen gab.
    Es regnete noch. Die sonnigen Tage kamen erst später. Aber die ersten Deutschlandwimpel flatterten schon an den Autos an mir vorüber. An der Ecke Neckarstraße, Hackstraße erneuerten Maschinen das Gleisbett der Stadtbahn, die zum Gaskessel abbog. Ich holte Brontë aus der Garage. Die alte Dame aus der Familie Porsche, hochzeitsweiß mit nuttenroten Ledersitzen, muckte, als Regen ihre Windschutzscheibe nässte. Der Scheibenwischer knarzte.
    »Es muss sein«, erklärte ich ihr. »Wegen der Performance!«
    Das Autoradio teilte mir mit, dass unser Bundespräsident soeben zurückgetreten war, der Horst. Das habe es in Deutschland noch nie gegeben. Schlechte Performance. Da bei hatten wir doch erst am Samstag mit Lena den Grand Prix gewonnen. Gute Performance. Nettes junges Mädchen erklärt uns, wie das für schlanke Teenies ist, wenn sie sich verliebt haben. Die reine Physik, da gibt es kein Entkommen in die Vernunft. Sie glaubt sogar, der Kerl interessiere sich für die Lackfarbe der Zehennägel. Zwischen Opernkleidern und alten Melodien hopst im schwarzen Hängerchen die entzückende Jugend, die wir ja ansonsten gar nicht mehr kennen. Wir kennen nur die Schläger.
    Stuttgart verstand übrigens von Performance auch nichts. Nicht einmal mehr Autostadt mochte sie sein. Alle Straßen, die Brontë gefallen hatten, weil raserisch und mehrspurig, waren ökolustfeindlich auf Tempo fünfzig zurückgestutzt und von Fußgängerampeln zerhäckselt.
    Und in diesem Sommer herrschte eh Krieg. Nein, nicht Fußball. Es ging um den Hauptbahnhof mit seinem kreiselnden Mercedesstern und der Turmuhr aus den Fünfzigern, mit seinen Bossenwerkfassaden und den endlosen Seitenflügeln, an denen Passanten verhungerten und Ratten fett wurden.
    Ich gehörte nicht zur Kulturelite der Stadt, aber ich sah es mit Wohlgefallen. Es schmeichelte mir. Denn beim Kampf um den Retrocharme des Hässlichen ging es im Grunde auch oder eigentlich um mich. Er war wie ich, dieser Hauptbahnhof: ungefällig, von altertümlicher Ästhetik, schroff, rau und verschlossen. Er war eine sperrige Demonstration gegen den bürgerlichen Schnörkelklassizismus anderer Metropolenbahnhöfe, zugleich jeglicher Modernisierung abhold, geistig tief im vorigen Jahrhundert verwurzelt und entschlossen, nichts dazuzulernen. Deshalb durften, wenn es nach mir ging, auch die Seitenflügel nicht abgerissen werden. Und wenn sich die Stuttgart-21-Gegner zu ihren Montagsdemonstrationen und Mahnwachen versammelten, dann taten sie es insgeheim für mich, für mein Narbengesicht, an das man sich gewöhnt hatte, und für meine Anstrengungen, nicht zu gefallen und mich dem zeitgemäßen CO 2 -neutralen Glasbaudenken nicht zu unterwerfen.
    Ich schickte Brontë durch die Tunnel nach Vaihingen hinauf und überließ den Rest des Wegs dem Navi. Er führte uns über die Bahnlinie ins Österfeldgewann, wo die Straßen Othello, Don Carlos oder Hamlet hießen. Brontë schnurrte zufrieden. In der Sackgasse zum Wald standen immerhin ein Porsche Cayenne und ein Z3. Wahrscheinlich würde sie den jungen Boliden Märchen aus Zeiten erzählen, als sich noch niemand um Auspuffemissionen kümmerte.
    Das Haus mit dem Klingelschild Schrader war Teil ei nes dreihäusigen Neubaus mit großen Fenstern.
    »Nerz«, sagte ich in die Gegensprechanlage.
    »Pappo«, hörte ich aus dem Lautsprecher ein Mädchen rufen. »Da ist ein Nerz.«
    Eine Antwort hörte ich nicht. Aber es knackte der Türöffner.
    »Pünktlich sind Sie ja!«, empfing mich der filigrane Akademiker mit wachen grauen Augen und der Lehrerpersönlichkeitstonlage. »Angenehm, Herr Nerz!«
    Mir gar nicht. Die Wohnung roch nach musischer Erziehung und Globuli.
    »Schön, dass es geklappt hat«, konversierte Schrader weiter. »Möchten Sie ablegen?«
    »Danke.« Ich legte den Trenchcoat über meinen Arm.
    Lolas Blick war nadelscharf, er trennte alle Nähte meines spießigen Anzugs auf, freilich ohne sich schlüssig zu werden.
    »Das ist meine Tochter Lola«, sagte Michel Schrader.
    Ihr Händedruck war gewollt lasch. Ich schaute ihr un geniert auf die Titten. Sie zog die Jacke zusammen. Un ser geheimes Spiel begann.
    »Darf ich bitten«, sagte der Vater. Im Wohnzimmer standen ein Klavier, Möbel, Unterhaltungstechnik und Leuchtmittel, die den unbedingten Willen zur Gestaltung verrieten. In die

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