Malefizkrott
routinemäßigen Pressemitteilung der Polizei zufolge hatte man eine Chemikalie an der Stelle gefunden, wo das Feuer seinen Ausgang genommen hatte.
»Was für eine Chemikalie?«
»Wozu willst du das wissen?«, fragte Rudolf.
»Ich saß unten im Keller bei der Lesung, als es passierte.«
Der alte Reporter lachte tief aus seinem Trollingerbauch heraus. »Wie schaffst du das nur immer? Unsereiner muss erst hinfahren, und du bist immer schon da, wenn was passiert.«
»Wer nicht rausgeht, den bestraft das Leben, Rudolf! Musst halt dein Pressehaus mal verlassen.«
»Wenn ich es verlasse, stehe ich im Stau.«
»Übrigens, Durs Ursprungs Sohn Ruben hatte ein vita les Interesse daran, dass der Vater den Saustall dichtmacht und er woanders einen überlebensfähigen Buchladen aufziehen kann. Aber ich weiß nicht, wie er es gemacht hat.«
»Hm«, machte Rudolf. Als erfahrener Journalist wuss te er, wo eine Geschichte steckte, aber auch, wie schwierig es war, sie pressereif zu machen. Die meisten guten Geschichten fanden nie den Weg in die Öffentlichkeit, weil sie ohne Beweise reiner Rufmord gewesen wären oder den Tod des Journalisten bedeutet hätten, zumindest beruflich. In so einer Situation war ein Freelancer wie ich einem Journalisten wie Rudolf mit festem Stuhl und Tisch im Pressehaus nützlich. Ich trug das Risiko, er erntete die Lorbeeren, falls meine Recherchen zu einer druckreifen Geschichte führten.
»Und deshalb«, lockte ich, »wäre es interessant zu wissen, um welche Chemikalie es sich handelt. Es müsste eine sein, die sich nach einer gewissen Zeit, etwa nach einer Stunde, selbst entzündet.«
»Ich ruf mal bei der Polizei an«, beschied Rudolf. »Ich melde mich dann wieder.«
Hatte, fragte ich mich, Ruben eigentlich ebenso wie ich beobachtet, wie Richard das wiederentdeckte Buch in einen der Stapel zurückschob, während die Schraders und der Verleger einliefen? Und wer war zu diesem Zeitpunkt noch im Laden gewesen? Ich hatte zwar niemanden wahrgenommen, aber das musste nichts heißen. Ich hatte auf sehr wenig geachtet an diesem Abend.
Ich nahm das Hybridbuch vom Kneipentisch, wo es seit Donnerstagnacht lag. Als ich es aufschlug, hörte ich mit leisem Knistern die Blätter sich voneinander lösen. Oft war es seit dem Einschuss noch nicht aufgeschlagen worden. Die Kugel hatte das hintere Drittel des Bandes durchschlagen und war als Knubbel noch bis zur Mitte auf den Seiten zu fühlen.
Nur mal angenommen, das Buch wäre der eigentliche Grund für den Brandanschlag gewesen. Womöglich konnte es heute noch jemandem gefährlich werden, einer Marie Küfer, die jetzt Ehefrau einer bekannten Persönlichkeit war, oder Wolfi, der gerade irgendwo eine Wahl gewinnen wollte.
Die Seiten mit dem altertümlichen Textmuster waren gelblich und glatt. Wenn man mit den Fingerspitzen darüberfuhr, spürte man die Eindrücke der Buchstaben vom Druckstock á la Gutenberg. Manche Bücher in meiner Schulbibliothek hatten sich auch noch so mechanisch angefühlt. Die Fremdtexte befanden sich in zwei Lagen ziemlich genau in der Mitte. Ihr Papier war rauer und eng betippt. Bei geschlossenem Buch waren die fremden Lagen übrigens kaum zu erkennen, denn es gab … wie nannte man das? Meine Mutter hatte eine Bibel mit dem besessen, was sie Goldschnitt genannt hatte. Gemeint war damit, dass die Schnittkanten des Buchblocks vergoldet gewesen waren. Gold war es hier nicht, aber ockergelbe Farbe. Ich brauchte dringend einen Buchbinder, der mir die wahren Geheimnisse dieses Buchs erklärte. Durch Blättern kam ich nicht darauf.
Wenn auch – das stand fest – das Buch nicht der Grund für die Brandstiftung gewesen sein konnte. Falls Ruben oder irgendwer anders beobachtet hatte, wie Richard Schloss und Fabrik zurück in den Stapel steckte, hätte er es genauso wie ich herausnehmen und anderwei tig entsorgen können.
Verworfen! Aber gut, dass wir darüber nachgedacht haben.
Und dennoch … Nehmen wir an, der Beobachter von Richards Aktion hätte nicht bemerkt, wie ich das Buch hinter Richards Rücken an mich nahm. Er konnte später, als wir alle unten im Keller saßen, danach gesucht, es aber nicht gefunden haben. Zum Beispiel Michel Schra der, der sehr spät in den Keller herabgefußelt gekommen war. Allerdings war er ein bisschen zu jung für eine autobiografische Beziehung zu den 68ern. Genauso wie Ruben Ursprung.
Wäre es mir aufgefallen, wenn der unbekannte Helfer älter als fünfzig gewesen wäre? Hätte Matthias Kern ihn
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