Malenka
mit den schwarzen Anzeigen im Pyritzer Kreisblatt, die Meldungen von den zerbombten Städten.
»Macht Hitler ganze Welt kaputt vor Schluß«, sagte Anna Jarosch, die jeden Abend zusammen mit Frau Dobbertin unter dem Schutz einer dicken Decke den verbotenen Sender London hörte, »ist wie tolle Hund, soll man totschlagen.«
Aber was draußen geschah, berührte Margot nicht in diesem Winter. Selbst als im Pyritzer Kreisblatt stand, daß Dr. Möller, Lores Vater, hingerichtet worden war, weil er, so die Urteilsbegründung, einer schwangeren Frau gegenüber Zweifel am Führer geäußert und damit einen Angriff auf den Wehrwillen des deutschen Volkes unternommen habe, drang diese Nachricht nicht weiter als bis zu ihren Augen, verfangen in sich selbst, wie sie war. Und daß der Panzer endlich aufbrach, lag wieder an Lotte Lerche.
Nur einmal noch Lotte Lerche, zum letzten Mal, dann gibt es sie nicht mehr in Pyritz. Sie wird verschwinden, und kein Aufschrei deswegen in den Straßen, die Zeiten, heißt es bei den Überlebenden, das waren die Zeiten. »Ich bin ja auch still geblieben«, sagte Margot später. »Ich war erst siebzehn, und so hatte jeder seine Gründe.«
Es begann an einem Apriltag in der Kontokorrentabteilung, wo Lotte Lerche die Führung der Konten überwachte und das Hauptjournal hütete, unter dem dunklen Blick von Hanno Feit, dessen Foto auf ihrem Schreibtisch stand, seit Jahren, Jahrzehnten nun fast, jeder wußte, warum. Eine alte Geschichte, man amüsierte sich darüber, Lottchens Liebster, sagte Direktor Wimheuer augenzwinkernd. Er war ein jovialer Mensch, zwar Parteimitglied, aber eher von der Dobbertinschen Sorte. Vielleicht, daß er deswegen trotz seiner fünfzig Jahre plötzlich noch Soldat werden mußte, wenn auch nur Landsturmmann und Wache in dem Kriegsgefangenenlager bei Stettin. Eine schikanöse Maßnahme, Denunziation vermutlich, obwohl Genaues nie nach außen drang.
Als sein Nachfolger erschien Max Patschek, gebürtiger Pyritzer, der bei der Sparkasse gelernt hatte und 1933, nach Hitlers Machtergreifung, Leiter einer Stargarder Filiale geworden war, damals erst dreiundzwanzig, aber schon SA-Mann. In Stargard, wo er sich unter anderem bei der Arisierung jüdischer Vermögenswerte hervortat, fürchtete man seine politische Strammheit und sah ihn bei Kriegsbeginn gern davonziehen.
Jetzt also kam er nach Pyritz zurück, als Fliegerhauptmann ohne rechten Arm und entschlossen, wie er in seiner Begrüßungsansprache während der Mittagspause erklärte, nun an der Heimatfront seine Pflicht zu erfüllen. Er sagte es lächelnd, die linke Hand lässig in der Hosentasche, und fing sogleich damit an: ein Gang zu den Kundenschaltern, kurzer Aufenthalt beim Kassierer, schließlich die Wendung zu Fräulein Lerches Schreibtisch hinten in der Halle. Dort wies er auf Hanno Felts Foto und fragte, wer das denn sei.
Die Stimme klang angenehm, und er lächelte noch. Schlank und schlaksig stand er da, jungenhaft fast, und Fräulein Lerche sagte vertrauensvoll: »Hanno Feit, Herr Direktor, mein verstorbener Verlobter.« Sie wollte auch, ohne den warnenden Blick des Prokuristen Heese zu bemerken, gleich ausführlicher werden wie stets, wenn die Rede auf dieses Thema kam, und alle, die herumstanden, es war ja Mittagspause, warteten gespannt auf die bekannten Einzelheiten.
»In der Tat? Erzählen Sie keine Märchen. Diese Visage kenne ich von früher, das ist der Jude Rosenfeld«, sagte Patschek und befahl, das Bild zu entfernen, ungeheuerlich, dieser jüdische Gigolo, eine Beleidigung für jeden anständigen Volksgenossen, aber sein Vorgänger sei da wohl nicht so heikel gewesen, und er müsse sich wundern, daß bisher niemand Einspruch erhoben habe.
Dies galt offensichtlich dem Prokuristen Heese, einem alten, nur aus Kriegsgründen noch seinen Dienst ausübenden Herrn, der unter Asthma litt und vor Aufregung zu husten begann. Fräulein Lerche stand mit gesenktem Kopf an ihrem Schreibtisch, und keiner wagte sie anzusehen.
»Los!« Max Patschek wies mit dem linken Daumen auf Hanno Felts Foto.
»Nein«, sagte Fräulein Lerche, »das hier ist mein Platz seit fast dreißig Jahren, und das Bild bleibt stehen. Es ist auch keine Visage, und Herr Feit...«
»Halten Sie den Mund!« Max Patscheks Stimme wurde lauter, verlor jedoch ihren Wohlklang selbst dann nicht, als er von Rassenschande und Ehrvergessenheit sprach, ein ehrvergessenes, rassenschänderisches Verhältnis.
Fräulein Lerche hob den Kopf.
»Es war
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