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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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östlicher Richtung, wo die Insel Wollin lag, dumpf dröhnende Geräusche herüber, Stalinorgeln meinten manche. Die Zink jedoch erklärte, es handele sich um die Erprobung der neuen Peenemünder Vergeltungswaffen, und die Bauern begannen so unverdrossen ihre Felder zu bestellen, als kämen die Flüchtlingstrecks auf dem Festland, gleich hinter der Karniner Brücke, von einem anderen Stern. Mit Recht, Usedom wurde erst im Mai erobert, später auch nicht den Polen zugeschlagen, wer gesät hatte, konnte bleiben und ernten. Daß Margot trotzdem früher als die anderen Mädchen aus dem Lager floh, lag nicht am Krieg. Es lag an Wiethe, Oberleutnant Wiethe, ihrem Chef.
    Eine lange Geschichte, die Ursache dieser Flucht. Eine Geschichte von Gefühlen und wie sie benutzt werden. Aber auch die Geschichte von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen, und schließlich genug hatte von der Lektion trotz U-Bootabzeichen, EK I und Deutschem Kreuz in Gold. Die Geschichte also von Margot und Wiethe, deren Beziehung man im Arsenal, im Lager vor allem, für ein Verhältnis hielt, fälschlicherweise, obwohl manches dafür sprach. Denn kaum hatte Wiethe Margot angefordert unter dem Vorwand, Inspektor Kleinert brauche eine zusätzliche Kraft in der Buchhaltung, stellte sich heraus, daß er sie hauptsächlich für seine persönlichen Belange haben wollte, zur Unterhaltung, obwohl auch damals schon offiziell von Arbeit die Rede war. Privatsekretärin, schimpfte Kleinert, erst recht, als Margot nach Weihnachten einen ständigen Platz im Chefzimmer bekam und die Gerüchte brodelten. Wiethe, der einzige jüngere Offizier weit und breit, und ausgerechnet die Jarosch.
    Ob an dem Gerede was dran sei, wollte Liesbeth Domalla wissen.
    »Unsinn«, sagte Margot. »Er ist doch verheiratet und hat einen Sohn«, kaum stichhaltige Argumente für eine wie Liesbeth Domalla mit den vielfältigen Küchenerfahrungen, schon gar nicht, nachdem ihr Wiethe zu Gesicht gekommen war. Sie hielt ihn für einen Filou, und Margot solle aufpassen.
    Zutreffend in gewisser Weise, die Einschätzung, nur nicht dort, wohin Liesbeths ganz spezielle Befürchtungen zielten. Wiethe verhielt sich Margot gegenüber eher brüderlich, mehr als ihr lieb war, wenn sie es auch nicht eingestand, um keinen Preis, nicht einmal sich selbst. Aber es ärgerte sie, wenn er den Arm um sie legte oder ihr im Vorbeigehen übers Haar strich, flüchtige, ungefähre Gesten, wie bei einem Kind, kam es ihr vor.
    »Nicht so bange, Malenka«, hatte er einmal gesagt, als sie zurückgezuckt war, »ich tu’ Ihnen nichts, für einen alten Eheknochen sind Sie zu schade«, ebenfalls irritierend für sie, besonders deshalb, weil er dauernd unterwegs war nach Swinemünde zu einer Freundin namens Annelie, so daß Margot gegen ihren Willen fragte, ob Annelie ebenfalls zu schade sei.
    Ein schneller, erstaunter Blick. »Nein«, sagte er, »die nicht«, und auch das ärgerte Margot auf ihrem vielbeneideten Platz neben seinem Schreibtisch, wo sie aus ganz anderen Gründen saß, als die Mißgunst vermutete, Gründe, die Kleinert nicht für möglich gehalten hätte. Kein wahres Wort jedenfalls an den Gerüchten. Wiethe amüsierte sich darüber, wozu die Aufregung, die Leute brauchen ihren Spaß, und es sei doch egal.
    »Sie haben es gut«, sagte Margot, »Ihnen ist alles egal«, ohne zu ahnen, wie nahe sie der Wahrheit damit kam. Denn im Moment war es noch dahingesagt, halb lachend und nur gemünzt auf das, was Wiethe ihr als seine Dienstauffassung zu erläutern suchte, derzufolge er sich hier endlich erholen müsse nach den ganzen Strapazen für Führer und Vaterland. Eine ruhige Kugel schieben, erklärte er, sei das Gebot der Pflicht, und so beschränkte sich seine Tätigkeit im Munitionsbüro, von den Fahrten zur Swinemünder Annelie abgesehen, auf drei Gebiete: englische Kriminalromane, seine Oktavhefte und die Kaninchen draußen im Schlehdorngebüsch, eine mümmelnde, sich unablässig vermehrende Schar, gleich nach Amtsantritt beschafft und von Kleinert heftig bekämpft, erfolglos allerdings. Denn das anfängliche Mißfallen auch der übrigen Offiziere war mit den ersten Braten auf dem Kasinotisch in Sympathie umgeschlagen, und da der Kommandant persönlich Befehl gegeben hatte, sämtliche Küchenabfalle fortan für die Tiere bereitzustellen, konnte ihr Status als gesichert gelten. Nur Kleinert, obwohl hin und wieder mit einem Exemplar bedacht, das abzulehnen sich niemand leisten konnte beim derzeitigen

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