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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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nächsten Tage, wenn sie morgens vor dem Tor wartete, genau wie Liesbeth Domalla früher, und neben Lore herlief.
    »Ich würde so gern einmal mit dir reden«, sagte Margot schließlich, als sie fand, daß es an der Zeit war, und Lore Möller wandte sich ab, ein Moment, in dem Margot sie noch hätte stehenlassen können, der letzte, warum tat sie es nicht.
    »Ich dachte, weil wir beide aus Pyritz sind«, sagte sie statt dessen.
    »Pyritz?« Lore Möller fing an zu lachen, aber nicht fröhlich. »Aus Pyritz haben sie uns rausgeprügelt.«
    »Doch nicht alle«, sagte Margot.
    »Von den anderen habe ich nicht viel gesehen. Von dir auch nicht.«
    »Ich war wie vernagelt damals«, sagte Margot. »Aber ich will nicht, daß du denkst, ich bin eine von denen.«
    Lore Möller blieb stehen und sah sie an. »Was für eine bist du denn?«
    Sie standen sich gegenüber, niemand war in der Nähe, auch sonst Stille, und wenn Laub geraschelt, das Unterholz geknackt, ein Vogel gerufen hätte, die Stille wäre geblieben.
    »Ich will nicht, daß wir...« Margot schwieg, eine Lästerung, was sie sagen wollte, der endgültige Verrat, so kam es ihr vor, doch wen verriet sie, Max Patschek vielleicht? Sie dachte an Anna Jarosch - »mußt du aufpassen, wo trittst du hin mit Fuß, Malenka« - und sagte: »Ich will nicht, daß wir den Krieg gewinnen, es soll anders werden, reicht dir das?«
    Das war der Anfang, die Maske gefallen, und woher auch hätten sie wissen sollen, daß es besser gewesen wäre, weiterhin getrennte Wege zu gehen, nirgendwo schlug eine Glocke an, um sie zu warnen, alles kam, wie es kam.
    Anfang März begann jenes Dröhnen hinter Wollin, das Fräulein Zink lächerlicherweise irgendwelchen Wunderwaffen zuschreiben wollte.
    »Die hat sie wohl im Traum gesehen«, sagte Wiethe, mit gedämpfter Stimme diesmal und erst, nachdem er die Tür geöffnet und wieder geschlossen hatte. »Wunderwaffen! Soll ich Ihnen sagen, was für Wunderwaffen wir haben? Unsere zwei Füße. Und wenn ich Sie wäre, würde ich mir mal überlegen, wie ich damit am schnellsten nach Westen komme. Ihnen geht’s doch gut, Sie müssen nicht auf die Russen warten wie ich.«
    »Haben Sie Angst?« fragte Margot erschrocken.
    Wiethe setzte sich auf den Schreibtisch. »Man sollte Kindern verbieten, solche Worte überhaupt in den Mund zu nehmen. Arbeiten Sie lieber, young Lady, sonst ist der Krieg aus und unsere Liste nicht fertig. Was wird denn da der Führer sagen?« Er griff nach seinem Kriminalroman, und Margot, über die Zahlen gebeugt, die sie eigentlich nicht kennen durfte, spürte einen hohlen Druck unterhalb der Brust. Fast wäre sie aufgestanden und zu Wiethe gegangen, mit ihrer Angst zu seiner, vielleicht wartet er sogar darauf, dachte sie. Aber Wiethe sah wieder aus wie immer, wenn er las, und als er den Kopf hob unter ihrem Blick, sagte er etwas ganz anderes als das, worauf sie wartete: »Wissen Sie eigentlich schon, was Sie machen wollen, wenn dieser ganze Zauber vorbei ist?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ich kann bei Lore Möller wohnen.«
    »Haben Sie nicht irgendwann mal von Studieren gesprochen? Lehrerin, war’s das nicht?« fragte er, und Margot erinnerte sich an ihren fünfzehnten Geburtstag, Anna Jarosch im schwarzen Kleid, und sie tragen das gute Geschirr in die Küche, bist du Tochter von Hedwig und heißt Jarosch, ist so, bleibt so. »Das geht ja nicht«, sagte sie. »Ohne Abitur.«
    »Wenn Sie Ihre Zeit nicht verplempern, geht alles.« Er hielt seinen Roman hoch. »Englisch wäre gut, das braucht man nach dem Krieg vermutlich nötiger als Deutsch. Agatha Christie liest sich wie Butter, damit hätten Sie schon längst anfangen sollen.«
    »Neben Ihnen auf dem Schreibtisch vielleicht?« fragte sie zornig, und Wiethe lachte. »Nicht so aufsässig, Malenka, weitermachen.«
    »Sie sollen mich nicht so nennen«, sagte sie und konnte sich jetzt noch weniger konzentrieren.
    Als sie mit Lore Möller ins Lager zurückging, schneite es wieder. Grauer Schlappschnee lag auf den Wegen, die Luft war wie nasses, kaltes Tuch, kein Fluchtwetter, immer noch nicht, und dazu die Drohungen der Zink, wir bleiben hier, der Führer vertraut uns, für Feiglinge ist kein Platz in unserer Volksgemeinschaft. Patscheks Sprache. »Wenn wir flüchten«, sagte Lore, »bringen sie uns um, genau wie meinen Vater.«
    Liesbeth riet ebenfalls zum Abwarten, als Margot nach dem Abendessen bei ihr in der Küche saß, dam einzigen warmen Ort im Lager, ein verbotener

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