Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
Müllersfamilie stammten. Der Apotheker bot seinem Kunden eine Pfeife an. Während sie die für ein paar erste Züge einander weitergaben und zunächst aus alter Gewohnheit über die Mühlen ihrer Familien sprachen, beide vom Typ der guten alten Bockmühle, sowie über Wind, Windkraft und Flügelgeschwindigkeit, wanderte der Maler durch den geräumigen, hohen Laden, dessen Regale bis hinauf zur Decke mit Töpfen undKrügen vollgestellt waren. Es war, wie gesagt, ein schöner Tag. Der Windstärke heute würde man in einigen Jahrhunderten auf der Beaufortskala höchstens eine Zwei geben.
»Und ob«, sagte der Apotheker auf eine Frage des Malers. »Kaum ein Windhauch, aber wir mahlen heute.«
Die Mühle seiner Familie, eine der vielen Farbmühlen im Gewerbegebiet an der Zaanse Schans, unterschied sich von denen der Konkurrenz durch eine Neuheit. Seit einiger Zeit lieferten die Lastkähne vom Umschlagplatz Amsterdam nicht nur Holzladungen aus Brasilien an, das war normal, sondern auch Steinbrocken aus den Gruben in der französischen Provence. Die Arbeiter, die am Steg hinter der Mühle die Ladungen löschten, waren zwar an die Riesenspinnen gewöhnt, die einem mir nichts, dir nichts über die Hände liefen, erschraken aber über die Skorpione, die rabiat zwischen den gelben Steinbrocken hervorsprangen.
Der Maler stand mit dem Gesicht zum Fenster und rauchte.
»Was darf’s denn sein?« ertönte es hinter ihm.
Ohne sich umzudrehen, begann er mit seiner Aufzählung – gebrannte und ungebrannte Umbra, Kasseler Braun, Bleiweiß, Karmesinrot, Zinnoberrot, von allem fünfzig Gramm –, doch was er währenddessen vor sich sah, war nicht das Gemälde, für das dies alles bestimmt war, vielmehr folgte sein Auge den Menschen auf der Straße, die sich, wie er meinte, allesamt in die Kleidung der Pest gehüllt hatten.
»Kein Ocker?« fragte der Apotheker.
Das Neue an den Schiffsladungen Stein betraf nämlich die Pigmentart – Ocker –, die seine Familie in harter Konkurrenz zu den kleinen Fabriken hier in der Stadt neuerdingsauf den Markt brachte. Die Kunstmaler stellten einen noch immer wachsenden Kundenkreis dar. Bis vor kurzem hatte die Mühle sich auf das Übliche beschränkt, Textilpigmente, die aus den Wäldern in Übersee gewonnen wurden. Das weiche, noch lebende Holz eignete sich bestens dazu, dem weichen, noch lebenden Menschenkörper eine frische Note zu geben oder aber ihn ernst, schwarz, streng unter einem blütenweißen Kragen zu präsentieren. Aber ein Kleid auf einem Gemälde? Ein Kleid auf einem Gemälde erfordert wesentlich kräftigere Farbstoffe als ein Kleid in der Wirklichkeit und benötigt daher Stein, Blei und den unter großer Gefahr gebrannten blutroten Zinnober aus giftigem quecksilberhaltigem Erz.
Der Maler ging zu dem Stuhl, der an der Wand beim Fenster stand.
»Doch, natürlich«, sagte er. »Gelb und rot, jeweils zweihundertfünfzig Gramm.«
Er rückte den Stuhl etwas aus dem Licht und setzte sich. Herr im Himmel, betete er. Wenn er sein Glück nicht vermasselte, konnte das Gemälde, an dem er gerade arbeitete, durchaus das schönste werden, das er je malen würde. Es war ein Gedanke, der ihm schon öfter gekommen war, früher sogar sehr oft, der ihn heute aber wahnsinnig nervös machte. Er blickte wieder nach draußen.
Irgend etwas an diesem Mann und dieser Frau mußte anders werden.
Neben sich hörte er das Kramen des Apothekers, der an dem rechtwinklig zum Fenster stehenden Tisch mit dem Rücken zu ihm dabei war, das Bestellte abzuwiegen. Unter den Passanten draußen erregte jetzt ein Mann die Aufmerksamkeit des Malers durch seine Kleidung, einen Trauerumhang,sowie durch die selbstgefällige Miene, die er dazu aufgesetzt hatte.
»Dem fehlt nur noch ein Fähnchen in der Hand«, brummelte er in Gedanken.
»Was?« fragte der Apotheker, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
Nichts.
Trauerumhänge waren bis zum Winter verboten gewesen. Von allen Kleidungsstücken, die die Toten hinterließen, war der Trauerumhang mit seinen tiefen Falten eines der gefährlichsten.
Er und sein Sohn hatten nicht im Traum daran gedacht, Rickys Kleider zu verbrennen.
Eine schwere Übertretung der gemeindlichen Notmaßnahmen. Es war streng verboten, das Bettzeug und die Kleidung des Pestkranken zu behalten. Selbst wenn einer genas, was vorkam, wurde dieses Wunderwesen allein schon wegen der Kleidung, in die er seine Krankheit gehaucht hatte, überall vertrieben. Vor allem auf dem Markt wollte man einen
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