Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
wegschaffen.
Es gibt auch Leute, die vermuten, daß die Pest eine Infektionskrankheit ist, die vom Rattenfloh auf den Menschenfloh und von ihm vor allem über die Kleidung auf den Menschen übertragen wird.
»Es ist eigentlich eine Tierkrankheit, nicht?«
»Gewiß. Hat der Floh bei der sterbenden Ratte Blut gesaugt, so trägt er die Pest wie einen Blutpfropf im Mund.«
Als der Maler das Geschäft in der Warmoesstraat betrat, dachte er nur indirekt an die Pest. Hauptsächlich beschäftigte ihn seit dem Aufstehen das Gemälde, das er jetzt für ein paar Stunden im Stich gelassen hatte, weil er einiges daran ändern mußte. Was wäre in einem solchen Moment der Leere besser, als sich um ein paar simple technische Details zu kümmern? Die Hauptsache nimmt derweil schon ihren Gang. Motiv des recht großen Gemäldes war die Liebe, sein Herz machte daraus überhaupt kein Hehl. Abgebildet war ein Liebespaar, das ihn persönlich etwas anging. Doch was, und wie hing das zusammen?
In seinen fiebrigen Träumen wußte er es so gut, daß es schon fast albern war. Ein Mann legt seine Hand auf die Brust einer Frau. Unter dem Stoff ihres Kleides spürt er das ruhige, stete Pochen ihres Herzens. Daß ein Mann, der vor nicht mal einem Jahr seine Frau verloren hat, so träumt, ist normal. Die Frau ist klein, breitschulterig, lieb. Die Vorstellungskraft des Schlafenden überschreitet sehr leicht die Gesetze des Tages. Der Mann fühlt die kleine, ruhige, eigensinnige Gestalt seiner Frau wie gewöhnlich an seiner Seite. Ohne auch nur einen Moment lang vom Dunkel des nächsten Tages beeinträchtigt zu werden, äußert er sein stolzes, männliches Bekenntnis.
Du, nur du.
Beim Erwachen ganz früh am Morgen ist natürlich alles anders.
Das Haus ist leer. Die Dachrinne leckt. In einem halb zerschlissenen Morgenrock von vor dem Krieg steht der Maler vor der Leinwand und reibt sich über das Kinn. Schon sein Leben lang besitzt er eine Sprache, die alle anderen überlappt – die Sprache von Anstand und Nicht-Anstand, Treue und Untreue, Schuld, Religion, Getrickse mit Geld, Hunger, Durst, Mißmut, Ärger –, die Sprache der Geste. Ja, auch die stärkste Sprache von allen, die der Liebe, muß, wenn es darauf ankommt, den Streifen, Klecksen, Konturen und Strichen weichen und in letzter Zeit sogar dem Gekleckse, Geputze, Geklatsche und Gekratze mit der Rückseite des Pinsels. Ein erstaunlich treffsicherer Rausch.
Also, nochmals, das Wie und Was eines Liebespaars. Am Morgen eines Tages, der strahlend zu bleiben verspricht, hat der Maler über die beiden nicht anders nachgedacht als in den Begriffen von Raum, Stille, Farbwerten, Kontrasten von Linien und Formen und der Aussagekraft von allein schon dem Format der Leinwand. Wie macht man das. Sehr viele Jahre später, gut zwei Jahrhunderte, sollte ein Malerkollege in diesem Zusammenhang etwas Treffendes dazu bemerken. Ein Mann mit knochigem, magerem Gesicht und knallblauen, nicht im geringsten wahnsinnigen Augen. Er schreibt einen Brief an seine Schwester. Es gibt nichts, schon gar nicht Belanglosigkeiten wie Ort oder Zeit, was Künstler daran hindert, sich miteinander zu unterhalten.
Van Gogh: »Das hervorstechendste Merkmal eines Malers ist, so stelle ich mir vor, malen zu können, diejenigen, die malen können, diejenigen, die es am besten können, legen den Keim zu etwas, das noch lange Bestand haben wird, genausolange wie es Augen gibt, die sich an dem erfreuen, was von eigenartiger Schönheit ist.«
Der Briefschreiber wird seine Feder kurz vom Papier nehmen, schauen, was er geschrieben hat, und dann unterstreichen: malen zu können.
Der Maler stieß die Ladentür auf. Unabhängig von der Pest hatte er die Einkaufsliste für das Bild in seinem Atelier im Kopf. Die Glocke läutete.
Der Ladenbesitzer, von Beruf Apotheker, erschien in der Tür des Hinterhauses und ging mit einem seiner Standardgrüße auf den Kunden zu.
»Was für ein Tag, was für ein Tag, was für ein Tag!«
Er war ein kleiner, kahlköpfiger Mann in Hauspantoffeln. Auf dem Schädel trug er wie immer die weit abstehende, flache Kopfbedeckung, die der Maler schon einmal für das Haupt eines Pharisäers in einem Historienbild des Judas entliehen hatte.
Sie drückten einander die Hand.
»Ja, was für ein Tag.«
Und wandten sich zum Fenster an der Straße, hinter dem man die Leute zur Hinrichtung auf dem Dam strömen sah. Die beiden Männer mochten einander, was zum Teil darin begründet war, daß beide aus einer
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