Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
vier Buchstaben ihres Namens. Was für ein Augenblick in ihrem Leben, die Aufmerksamkeit seitens zweier seriöser Männer und dazu auch noch ein Lied! Nehmen wir noch einen Becher? Ja. So ein Augenblick hat nicht nur eine Erscheinungsform, sondern eine ganze Menge, und die erste Version ist nicht unbedingt die intensivste und nicht einmal die wahrste. Als Else an jenem Nachmittag nach Hause kam, wurde ihr dieser Moment, den sie leicht beschwipst, aber doch in voller Konzentration erlebt hatte, von ihrer Schwester abgenommen und in eine Schürzentasche gesteckt.
Es blieb nicht bei dieser einen Übellaunigkeit. In den darauffolgenden Tagen begann Sarah-Dina, am Küchentisch sitzend, das Gesicht der Tür zugewandt, ihre Schwester bei deren Eintreten jedesmal so vorwurfsvoll anzusehen, daß esdem Kind richtiggehend schlecht wurde und es alles Elend der wartenden Frau wie eine Untat tief in sich fühlte.
Bald darauf beginnt das ständige Gerenne zum Hafen. Else muß ihre Schwester begleiten, die, sofern sie überhaupt spricht, auf holländisch spricht und dann anscheinend ausschließlich über die Seefahrt – »In der gantzen Ostsee geht weder Ebbe noch Fluth wie in der Nordsee« –, und das so sanft und klagend, daß das sie begleitende Mädchen es in der Nase kribbeln fühlt und um ein Haar weinen muß. Mit dem Bewußtsein tiefer Schuld und bereit, alles zu tun, um diese Schuld zu büßen, hütet sie sich, noch an den Zettel zu denken, den Glücksmoment mit den vier Buchstaben, der immer noch in der Schürzentasche stecken muß.
»Und desgleychen nicht im Mittelländischen Meer, wie auch nicht im Kaspischen Meer, das auf allen Seyten geschlossen ist …«
»Ja, ja«, murmelte Else.
Ragnar wird es gewiß nicht mehr gelingen, sich zwischen die beiden Schwestern zu schieben.
Eines Novembernachmittags wollte Sarah-Dina, obwohl es in Strömen goß, doch noch einen Spaziergang machen. Schon nach wenigen Minuten hat sie ihre dunkelblauen Augen auf die jüngere Schwester gerichtet, die sie wie immer begleitete. Unerwartet sanft, sehr, sehr sanft hat sie gesagt: »Weißt du, eigentlich heißt du, auf holländisch, Elsje.«
Das Mädchen nickte. Der Zwang in den Augen beeindruckte sie, doch was sie überzeugte, war der sanfte Ton, als wären sie beide durch eine geheime Botschaft verbunden.
»Elsje … Elsje …« sprach sie es nach. Und auf einmal fand sie den Klang der fünf Buchstaben wunderschön.
So ist es gekommen, daß sie fortan Elsje heißen sollte. Für sich und für die Welt, hier und jetzt, aber auch ein paar hundert Jahre später in einer der größten kulturellen Bastionen dieser Zeit, im Metropolitan Museum of Art in New York.
Dort sollte man schreiben: Elsje Christiaens hanging on the gibbet .
Die beiden Stiefschwestern gingen schweigend weiter. Elsje sah zerstreut, wie ein triefender Vogel von einem Ast aufflog und dicht über den Boden davonstrich. Erst ein halbes Jahr später würde der Moment mit den vier Buchstaben erneut den Weg in ihren Kopf, ihr Herz und vor allem in ihre Hände finden. Sie würde die Nadel, die ihr Haar zusammenhielt, herausziehen und zu einer tiefen steinernen Fensternische gehen, die mit einem Gitter abgeschlossen war.
6
Im Geschäft
Die Pest ist eine Plage, die der Schöpfer uns als Strafe für unsere Sünden schickt, das ist bekannt. Die Krankheit kündigt sich durch Vorzeichen an, manchmal durch große, wie im Januar des vergangenen Jahres, als ein kleiner Himmelskörper dicht über die Erde hinwegstürmte, eine Sonne mit zwei Schweifen, was man vor allem vom Overtoom aus sehr gut sehen konnte. Im darauffolgenden Sommer gab es Wochen, in denen die Sterbeglocken in der Stadt schamlos läuteten und läuteten (was bedeutete, daß die Katholiken hatten dran glauben müssen, die meisten Kalvinisten lehnen das Totengejubel ab) und der Leichengeruch im Umkreis der Kirchen, deren Boden die ganze Zeit zur Hälfte offen lag, so abscheulich war, daß das Presbyterium den Auftrag gab, während des Gottesdienstes Weihrauch zu verbrennen wie in der papistischen Messe. Meist jedoch sind die Vorzeichen bescheidener, jämmerlicher, wie zum Beispiel der verirrte Geier,der sich vor sieben Jahren auf dem Turmkreuz der Oude Kerk niederließ, dort verfroren zusammengekauert sitzen blieb und morgens vom Schultheiß erschossen wurde. Was natürlich kein bißchen geholfen hat. Pestträger mußten in jenem Sommer, wir sprechen vom Jahr ’57, manchmal mehr als fünfhundert Leichen pro Woche
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