Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
am ungestörtesten schläft. Die fünfte Stufe, die die Ratten, Flöhe und Wanzen betrifft, ist strenggenommen keine Stufe, sondern eine Abwesenheit, eine hohle Tiefe, die sich jedem Fünkchen Licht verweigert, aber doch einen süßlichen Geruch verströmt. Für jede dieser Abstufungen hat die Malerei ihre Pigmente. Für die fünfte sind das die Schwarztöne, ihre allerdunkelsten Farben.
    »Darf ich Ihnen ein Glas Met anbieten?« hatte der Apotheker gefragt.
    »Ja bitte!« hatte der Maler so inständig geantwortet, als wisse er, dies waren die zehn Minuten, in denen das Mädchen im Rathaus, wie die Tradition es will, für ein letztesGebet in den Justizraum gebracht wurde und die Menge der Schaulustigen draußen zu starren begann.
    Sie tranken. Der Apotheker hatte sich einen Stuhl herangezogen und einen kleinen Tisch für den Krug und die Gläser dazugestellt. Sie kamen ins Gespräch, der Augenblick war danach, eines dieser Gespräche, die scheinbar ganz von selbst beginnen. Als der Maler nach seinem ersten Schluck aufmerksam das Glas erhob, um hindurchzuspähen, dachte der Apotheker, sein Kunde betrachte die Wirkung des Lichts auf die goldene Flüssigkeit. Tatsächlich aber hatte dieser nur ausgerechnet, wieviel ihn die Bestellung kosten würde. Dennoch sollte ihr Gespräch, ein Destillat aus einigen wenigen Bemerkungen, um das Licht kreisen.
     
    ÜBER DEN WERT DER SONNE
     
    Der Apotheker hatte den Maler verständnisvoll angesehen. In letzter Zeit schienen seine Kunden geradezu von einer Manie erfaßt, über dieses eine Thema zu reden. Als wäre das Licht das Wichtigste auf der Welt.
    »Stimmt«, hatte ihm gestern noch einer geantwortet. »So ist es. Wo hatten Sie in letzter Zeit bloß Ihre Augen?«
    Sie waren zu zweit hier mitten im Laden stehengeblieben, Meistermaler, ein noch junger Schnösel und einer in reifem Alter. Als sie das Geschäft betraten, hatten sie ihn mit einer wortlosen Verbeugung so gerade eben gegrüßt, um ihr Gespräch über das Licht nur ja nicht zu unterbrechen.
    »Es kommt immer, egal, wie man es dreht oder wendet, von der Sonne«, hatte der ältere Maler gesagt, ein hochgewachsener Mann mit gierigem, nicht unsympathischem Pastorengesicht.
    Der andere hatte seinen Gefährten ein paar Sekunden lang träumerisch angestarrt.
    Dann, vor sich hin: »Der Sonnenglanz …«
    »Wie? Ach so. Aber wir müssen auf unseren Leinwänden und Tafelbildern doch auch berücksichtigen, daß dieser Glanz in der Wohnstube ein völlig anderer ist als unter freiem Himmel. Es gibt Dinge, die nur wir wissen. Nur Maler wissen, daß sogar die direkte Sonne, die durch das offene Fenster hereinfällt, nur halb so stark ist wie eine Schattenpartie draußen.«
    Der Träumer hatte sichtlich noch keine Lust gehabt, sich die volle Sonne aus dem Kopf zu schlagen.
    »Das stimmt«, hatte er abwesend gemurmelt. »Da muß man mit seinen Farben sehr gut aufpassen.«
    Der ältere Meister hatte etwas ungeduldig genickt. Sein Blick zeigte, daß er etwas Wichtiges sagen wollte.
    »Ja, also. Angenommen, die Sonne hat einen Wert von hundert …«
    Er wurde durch einen Schlag auf die Schulter unterbrochen.
    »Oder von tausend!!«
    Der ältere Meister hatte verärgert gehüstelt. »Oder von tausend, meinetwegen. Die Sonne ist etwas Verbotenes in der Schöpfung. Ein ganz großes Tabu, auch für uns. Ebensowenig wie deine Augenlinsen ihr gewachsen sind, sind es deine Farben. Damit mußt du dich abfinden. Zu versuchen, die Sonne zu malen, ist das gleiche, als wolltest du sie mit bloßem Auge betrachten: nur etwas für Narren.«
    Der Atem des verträumten jungen Mannes ging jetzt schneller.
    »Wird es denn nie, wirklich nie einem von uns gelingen,es doch zu tun? Einem, der außer sich ist? Der, völlig wild geworden durch diese Lichtexplosion, das Ding aus seinem Trott holt, auf die Leinwand knallt, wenn nicht im Guten, dann im Bösen, indem er sich mit seinem Pinsel, seinem Messer fluchend darauf stürzt?!«
    Es war still geworden. Der ältere Meister beobachtete seinen jungen Kollegen mit Augen, aus denen keinerlei Mitgefühl sprach. Er war trocken fortgefahren: »Ja, wie gesagt. Angenommen, die Sonne hat einen Wert von hundert und der Widerschein all dessen, was sie unter freiem Himmel bescheint, einen Wert von zehn. Wenn du dem Schatten draußen demnach fünf gibst, dann ist das direkte Licht in einem Zimmer maximal vier, maximal.«
    »Und wenn dieses Licht in ein Glas mit sehr hellem Met fällt?«
    »Trotzdem. Laß das Licht im Haus das

Weitere Kostenlose Bücher