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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Händen. Sie lauscht, ihre Aufmerksamkeit ist plötzlich durch etwas draußen erregt.
    »Ich glaube, ich muß aufmachen.«
    Sie sagt es laut, zögernd.
    Als das Getrommel an der Haustür sie von unten erreicht, faltet sie in ihrem Schlafkabuff gerade den Mantel zusammen, äußerst sorgfältig, wie eine Kammerzofe. Eine verschwommene, fast süße Erinnerung an die Umgangsformen aus einer lange verflogenen Vergangenheit ist dabei, sie zu beschleichen.
    Es sind Leute an der Tür.
    Sie legt den Mantel ordentlich in ihre Reisekiste. Dann läuft sie schnell nach unten.
    »Ja, ja. Ich komme schon!«
    Draußen wird jetzt nämlich gegen die Schwelle getreten, auch Schreie werden laut.
    Sie öffnet die Tür.
    Die kleine Gruppe, die sie da anstarrt – ein Ehepaar, das eine Bäckerei mit Pasteten, Torten und kandiertem Kastaniengebäck betreibt, eine Kapitänsfrau und ihr Dienstmädchen, ein schwer invalider Schneider, der mit dem Mund nähen kann, ein Fischhändler, ein Sänger, der zufällig vorbeikam,den Text eines Erfolgslieds auf einem Brett unter dem Arm –, hat eine Frage, und nach einem kurzen, totenstillen Moment spricht jemand sie aus.
    »Was ist hier los?«
    Elsje zieht eine beflissene Miene. Erst als sie sich mit dem Handrücken eine festgeklebte Locke von der Wange streicht, begreift sie das Problem dieser Leute.
    Erst kann sie nicht sprechen. »Meine Nase«, sagt sie dann als Erklärung. »Hat plötzlich … furchtbar geblutet …«
    Aber sie wird bereits zur Seite geschoben.
     
    An Bord der Anna Lien, allein mit dem Schiffer, zittert die kleine tropfnasse Dänin wie verrückt. Sie schaut mit leerem Blick vor sich hin und sagt nichts mehr. Das Binnenschiff gleitet mit der kleinen Fock langsam in Richtung Schleuse, wo sie von ein paar Bütteln festgenommen werden wird. Sie hat keine Ahnung, wohin sie unterwegs ist.
    Auch die Gegenpartei sagt nichts. Und ob sie irgendwohin unterwegs ist und ob sie das weiß, bleibt vorläufig noch eine religiös-philosophische Frage. Der Leichnam der Schlaffrau liegt mit ausgebreiteten Armen auf dem Kellerfußboden, die Augen starren glasig in die Höhe. Die Nachbarn und Passanten, die sie im Halbkreis umringen, wirken wie Mitglieder eines Chors, die nicht mehr wissen, wie sie die Lippen bewegen müssen. Neugierig blicken sie auf die Entschlafene, die bald vom Leichenbestatter abgeholt werden und völlig in Vergessenheit geraten wird. Daß sie die kleine säumige Zahlerin tatsächlich mit einem Mann verkuppelt hat und außerdem mit der Ewigkeit, wird sie nie wissen.

25
Ich hab’s gesehen
    Sie hat sich in seinem Kopf eingenistet.
    Als der Maler wieder in sein Atelier kam, blickte er automatisch zu dem großen Bild auf der Staffelei, nickte entschlossen – beschneiden, ja gewiß, oben ein Stück weg, den rechten Rand weg – und kehrte ihm dann den Rücken. Das Mädchen, das ihn eigentlich schon den ganzen Tag begleitet hat, Schritt um Schritt, Bild um Bild, gesetzeskonform auf dem Weg in den Tod, hat schließlich für ihn zu leben begonnen. Nicht das nervtötende Glockengeläut, nicht die hilflos wie Kettensträflinge zum Dam ziehenden Zuschauer und auch nicht der Bericht der gewieften Mevrouw Cloeck haben ihm die Augen für sie geöffnet, es war sein Sohn.
    Während er sich schon nach der Tasche umsah, die an einem Nagel an der Ateliertür hing, ein altes Ding, eine Art Diebestasche, sehr geeignet, um Zeichensachen darin zu verwahren, wenn man hinausgeht, hörte er in Gedanken noch immer die Stimme seines Sohnes, die ihm erzählte, wie das Mädchen seine Hinrichtung vermasselt hatte.
    »Sie wollte nicht«, hatte der Junge sich zwei-, dreimal selbst unterbrochen und ihm dabei die Art von Blick zugeworfen, ohne Hoffnung, ohne auch nur ein Fünkchen letzter Hoffnung, die ihn vor einem knappen Jahr noch außer sich vor Wut hatte geraten lassen.
    Jetzt hatte er den Blick nur ernst erwidert.
    »Sie ist durch die Seitentür herausgekommen, du weißt schon, ganz rechts«, hatte sein Sohn erzählt und dazu bemerkt, wie seltsam es sei, daß er zunächst eigentlich nicht bemerkt habe, daß wirklich sie es war, das Mädchen von eben, dicht vor seiner Nase im Gerichtssaal, jetzt so weit weg. Auf einmal waren sie da, sie und die beiden Gefängniswärter. Sie tauchten in der Tür auf und traten zu dritt aufs Schafott. »In allseitigem Einvernehmen, so schien es für einen Moment.«
    Bis sie also die Augen gegen das grelle Sonnenlicht zugekniffen und dann wieder geöffnet hatte.
    11.05 Uhr an

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