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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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rauspressen.«
    Die eigentliche Arbeit, das ist für Elsje Christiaens heute der Abgrund, aus dem das Dunkel Woge um Woge heraufsteigt, während sie unter keinen Umständen auf das Licht verzichten will.
    Die Hinrichtung artete in eine sehr unordentliche Angelegenheit aus. Das Mädchen wurde von den Knechten hastig auf das Podest gezerrt und mit dem Rücken zum Pfahl auf den Stuhl gedrückt und festgebunden. Es ging alles so chaotisch zu, daß kaum einer bemerkte, daß der Scharfrichterseinen Platz bereits eingenommen hatte. Plötzlich war er, wo er zu sein hatte, Chris Jansz, hinter dem Rücken seiner Patientin, den Strick wie ein fingerfertiger Gaukler einsatzbereit in den Händen. Obwohl niemand aus dem Publikum vor einundzwanzig Jahren dabeigewesen war, wußten alle, wie abgeklärt, ja heilig Elsjes Vorgängerin sich der Tötung unterworfen hatte. Völlig verwirrt von der Häufung ungeheuerlicher Ereignisse in ihrem Leben sowie anschließend von der Zelle und der sanften Stimme des Pfarrers, war die minderjährige Mutter des ertränkten Säuglings vor ihren Richtern auf die Knie gefallen. Nicht um zu flehen, sondern um sich für die Strafe zu bedanken, die sie ihr auferlegten. Am Gerichtstag hatte sie selbständig das Podest bestiegen und sich mit weit offenen Augen gesetzt, lächelnd, ohne Erwartung und damit auch ohne Angst, wie jemand, der nach Hause gekommen ist. Ausgezeichnet zu sehen für das gerührte Publikum, hatte der Scharfrichter ihr den Strick bedächtig, fachmännisch um den Hals legen und dann mit einer typischen kurzen Bewegung urplötzlich anziehen können, die nichts von ihrer furchterregenden Kraft zeigte, wodurch der Eindruck entstand, diese Erdrosselung unterscheide sich nicht nennenswert von der Art und Weise, wie auf ihren sauberen Fliesenboden bedachte Hausfrauen ihre Hennen und Perlhühner vorzugsweise töten.
    Diesmal ging es anders zu. Weil sich das Mädchen immer noch wehrte, stand vor allem der plumpe Knecht auf der Seite des Damplatzes armfuchtelnd im Blickfeld. Was für ein Ringen, um Elsje auf den Stuhl mit der niedrigen Rückenlehne zu kriegen. Im Publikum war wahrscheinlich der kleine Voyeur auf dem Laternenpfahl der einzige, der richtig, auf nur wenige Meter Entfernung, hat verfolgen können,wie dem Mädchen eilends die Luftröhre abgeschnürt wurde. Trotzdem hat jeder gemeint zu sehen, was der kleine Junge sah, auch später, in der Erinnerung. Man war dabei, man nahm daran teil, sah gefesselt der pikanten Grausamkeit zu, die sich vor jedermanns Augen vollzog, manche waren drauf und dran, böse auf dieses verflixte Mädchen zu werden.
    Dann war es plötzlich vorbei. Ein Mädchen, das nicht mehr atmen kann, kann auch nicht mehr schreien, mag sie den Mund noch so weit aufreißen und die Augen dazu. Es wurde still, will sagen, die Glocken kamen jetzt zu ihrem Recht. Vor allem die Männer, die von Amts wegen ganz nah, an den Fenstern, saßen, hatten wohl genau gemerkt, was in den Umgebungsgeräuschen plötzlich fehlte. Und auf dem Schafott, dem Podium, wurde es auch in anderer Hinsicht still. Die Gruppe, die die Schlußszene bestritten hatte, das Mädchen, der Henker und die Knechte, fror in jener akuten Reglosigkeit ein, die in den Filmen späterer Jahrhunderte Standfoto genannt werden würde. So etwas dauert immer ein bißchen. Um ganz sicher zu sein, daß die Lungenbläschen kein Molekül Sauerstoff mehr aufnehmen, das Herz kein Tröpfchen Blut mehr pumpt und die Seele nicht den kleinsten Reiz mehr an die sterbliche Hülle weitergibt, braucht es, wie jeder Henker weiß, einige Zeit.
    Das Zeichen zum Aufbruch kam vom Schultheiß und den Schöffen, die sich von den Fenstern entfernten, zurück in den Bauch des Rathauses. Das Glockengebimmel wurde dünner, reduzierte sich auf einen vereinzelten Schlag und verstummte. Der Menge schwindelte es noch. Sie fragte sich, was jede Menge sich fragt, bevor man sich wieder zerstreut: Was haben wir hier eigentlich gewollt? Dann glitten als erste die Kinder von den Schultern herunter.
    Unter den davonziehenden Zuschauern befand sich ein junger Mann, der beschloß, jetzt doch noch schnell die Besorgung zu machen, derentwegen er von zu Hause fortgegangen war.
    Und ganz tief im Rathaus, in einem Raum neben den Zellen und der Folterkammer im Souterrain, lag ein anderer junger Mann bäuchlings auf dem Bett und schluchzte. Als seine Mutter ihm einen Becher Anismilch brachte und ihm den Rücken streichelte, begann sein Körper so heftig zu zucken, daß

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