Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
wird. Den Hektaren Sumpf und schwierig trockenzulegendem Tiefmoor, auf denen er die Bannpfähle, die das Rechtshoheitsgebiet Amsterdams markieren, ein wenig höher oder dicker machen wird, in dem Maße, in dem sie das kompositorisch von ihm verlangen.
Man wird alles schön finden.
In ein paar hundert Jahren sogar unglaublich schön.
Doch zu dem armseligsten Gebiet der ganzen Umgebung hat er sich bisher noch nie übersetzen lassen. Volewijck ist nicht nur häßlich wegen der Leichen, die dort hängen, sitzen oder – Körperteil für Körperteil – in die Grube fallen, über der ihre Galgen errichtet sind, Volewijck ist auch für sich genommen äußerst häßlich. Eines Tages werden auf diesem sich senkenden Stück Moor Wohnviertel mit Häusern entstehen, die man als durchsonnt bezeichnen wird, ein reizendes Gärtchen vorn, ein reizendes Gärtchen hinten, eines Tages wird hier am pragmatischen, günstig gelegenen IJ ein Forschungslabor der Firma Shell gebaut werden, einer Gesellschaft, die so weltumspannend ist, daß sogar ein Trip, ein Cloeck oder ein Bürgermeister de Graeff das organisatorisch nicht für möglich gehalten hätte, und die mit Brennstoffen handelt, im Vergleich zu denen die Sumpf- undSchlammherkunft dessen, was man hier, in Volewijck, in den Öfen verheizt, ein Witz ist. Torf ist übrigens teuer, und die Winter sind lang für die fünf oder sechs Familien, aus denen die hiesige Bevölkerung besteht.
Reusensteller, Aalfischer, Schilfschneider, Vogeljäger. Ihre Häuser ohne Seitenwände, dafür mit schwarzen, mit Wasser vollgesogenen Spitzdächern bis hinunter zum Boden könnten ja möglicherweise das Interesse eines Malers wecken, der sie der Mühe des Zeichnens wert fände, sie selbst fanden nichts daran. Arme Menschen sind arme Beobachter, deren Augen lediglich auf die Banalitäten des Alltags gerichtet sind. Man schaut auf den Schlick, man schaut auf das Schilf, man schaut auf die Vögel. Auf die Leichen schaut man nicht, nicht, weil man Angst vor ihnen hätte, jedenfalls nicht bei Tag, sondern weil man an sie gewöhnt ist. Man sucht höchstens den Himmel über ihren Köpfen ab. Einst wird in dieser Gegend, ein Stück weiter, ein Wohnviertel entstehen, das man das Vogelviertel nennen wird. Gute Idee, einerseits. Vögel sind schön, sie regen die Phantasie an. Volewijck ist, wie der Name sagt, immer reich an Vögeln gewesen. Die künftigen Menschen werden am Vogelkai wohnen, in der Kormoranallee, der Ganterstraße, der Entenstraße, der Krähenstraße, der Rohrdommelstraße, kurz und gut, mehr als zwanzig Vögel bekommen eine ehrenvolle Adresse. Die größte, breiteste und längste Straße wird Möwenallee heißen.
Der Maler, auf dem Weg zu jenem häßlichen Ort, der dem sehr häßlichen Tod gewidmet war, hatte mit Schülern und Freunden natürlich oft genug über das Schöne gesprochen.
Einmal hatte er mit einem älteren, vornehmen Freundaus Den Haag über das abgeschlagene Haupt der Medusa diskutiert, grausig gemalt vom Kollegen und hochverehrten Konkurrenten Peter Paul Rubens.
»Großartig, aber ich persönlich hätte es nicht gern in meinem Haus!« hatte der ältere Freund gesagt, derselbe, der ihn einst, in seinen jungen Jahren, auf diese gewaltige Reise zu den Schönheiten Italiens hatte schicken wollen. »Wirklich nicht!«
Worauf der Maler zunächst bedächtig genickt, dann etwas wie »Das Antlitz dieser bösen Frau … Ja, noch immer schön« gemurmelt und sich schließlich in Schweigen gehüllt hatte, um in aller Ruhe, liebevoll, an die Farbe des Gesichts und des vom Rumpf getrennten Halses zu denken, gelblich wie ein Stück Steckrübe, das beim Kochen zerfällt, was ihm völlig natürlich erschien.
»Ein schönes Motiv«, hatte der Mann aus Den Haag gesagt, »bleibt sogar in den Händen eines Stümpers noch immer annehmbar. Aber etwas Häßliches, selbst wenn es von einem Meister gemacht ist …?«
Wie gewöhnlich etwas knapp an Zeit, auf der Durchreise zum Hof der Oranier, bei denen er ein und aus ging, hatte er sich bereits erhoben, um seinen Hut vom Tisch zu nehmen.
»Rauchen Sie Ihre Pfeife doch fertig«, hatte der Maler ihn noch zu halten versucht. Sie hatten sich in seinem Haus in der Breestraat befunden.
Während der Freund sich vor dem Spiegel den Hut aufsetzte, hatte er schnell noch ein anderes, dem Maler ebenfalls wohlbekanntes Kunstwerk erwähnt.
»Meine Frau brachte es nicht fertig, sich das anzusehen.«
Er drehte sich wieder um, in den Augen den entsetzten
Weitere Kostenlose Bücher