Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
Durchblick im pechschwarzen Hintergrund einer Grablegung verwendet hatte.
Noch hübsch, noch frisch, noch leichenblaß.
Bestürzt schaute der Maler eine Weile auf das festgebundene und -genagelte Kind und ließ währenddessen die Tasche von seiner Schulter in den Sand gleiten. Elsjes Füße in den Rentierlederstiefelchen hingen in Höhe seines Huts. Man hatte das Mädchen mit Schultern und Kopf zwischen zwei aus dem Holzpfahl nach vorn ragenden Gaffeln festgezurrt und um ihren Rock in Bauch- und Kniehöhe zwei kräftige, jeden Einblick verhindernde Stricke geschlungen. Mit denselben Stricken hatte man sie auch noch an den Pfahl gebunden und mit langen Nägeln am Holz festgemacht. Er und das Mädchen. Er mit der Zeichentasche zu seinen Füßen, sie mit dem Beil an einer der Gaffeln neben ihrem Kopf, das jedermann erklären sollte, warum ihr Tod, sehr öffentlich, ja, nicht der ihre war, sondern der einer wachsamen Stadt, die ihre schändliche Sünde um keinen Preis innerhalb ihrer Mauern duldete.
Schon kniete er neben der Tasche. Immer wieder zu seinem Modell aufblickend, wie er es auch in seinem Atelier getan hätte, wählte er den richtigen Zeichenstift, das Tuschefläschchen und das Büchlein mit dem abwaschbaren Pergament. Die ersten paar flüchtigen Skizzen zeichnete er, konzentriert hinauf- und hinunterschauend, in dieser Haltung, auf einem Knie, zu ihren Füßen. Um sie herum völlige Stille. Früher hatte er seine schnellen Impressionen oft so festgehalten, ein Knie auf dem Boden, das andere dientedann als Tisch. Jetzt richtete er sich schon bald wieder auf, wobei er sich auf eine Faust stützte, entdeckte zwischen angeschwemmtem altem Krempel die gewölbte Seitenwand eines Bottichs, zog das kaputte Ding näher heran und setzte sich.
Alles von ihr festhalten. Ihre Stiefelchen. Ihren Rock, der sich um den eingeschnürten Bauch und die Knie bauschte. Ihre hochgezogenen Schultern, mit der Jacke bedeckt, die bis zum Kinn hochgerutscht war und dadurch nichts von dem zeigte, was man mit ihrer Kehle und ihrem Hals angerichtet hatte. Die Falten des Ärmels. Die steif gewordenen Arme, Jungmädchenarme, die ein Stückchen nach vorn ragten. Ihre Hände, die untätigen jungen, kräftigen Hände von Elsje Christiaens. Das unvermeidliche Beil. Das Gesicht.
Der Maler arbeitete jetzt mit der Feder auf einem größeren Blatt Papier, doch die Zeichnung selbst wurde sehr klein. Alles von ihr wiedergeben, auf dem mit einer dünnen Wachsschicht präparierten bräunlichen Untergrund. Der Pfahl, an dem sie hing, ragte noch ein Stück weit über sie hinaus. Drückte man in Gedanken die beiden nach vorn zeigenden Holzstücke links und rechts von ihrem Kopf zur Seite, dann sah man den Querbalken. Das Mädchen war erst ein paar Stunden tot. Noch keinerlei Verwesung. Seelenlos, aber noch nicht körperlos. War sie das noch? Das Gesichtchen mit dem fast geschlossenen Mund spiegelte Jugend, Schmerz, Unverständnis. Und einen Hauch von Empörung.
Zeichnen ist die Ruhe deiner Gedanken. Der Maler hatte einen feinen Pinsel genommen und lavierte die Zeichnung jetzt mit verdünnter graubrauner Tusche, wobei er einige helle Flecken aussparte. Er stellte alles genau nach der Wirklichkeit dar. Seine schweren Brauen waren zusammengezogen,Augen und Mund verrieten Anspannung. Doch ob es möglich ist, den Tod zu erforschen, darüber machte er sich keine Sekunde lang Gedanken. Sein Verständnis war in diesem Moment rein zeichentechnischer Natur. Schon richtete er sich wieder auf. Die Zeichnung war fertig.
Ob sie etwas von dem verborgenen Tod selbst, etwas Winziges, über dessen strenge Grenze hinaus vielleicht doch sichtbar machte?
Der Maler betrachtete die Zeichnung und stellte fest, daß sie schön geworden war, genau was er wollte, nur das. Er ließ die Luft kurz über die Papieroberfläche spielen, damit die Tusche trocknete.
Jetzt wollte er noch eine von der Seite machen.
Ausschließlich das Mädchen. Als er sich an ihre linke Seite stellte, um sie aus diesem Blickwinkel zu zeichnen, hätte er mit einem einzigen Blick das gesamte Feld mit seiner zutiefst traurigen Zurschaustellung umfassen können, der Luft und den Vögeln ausgeliefert. Er hätte, wenn er das gewollt hätte, auch gut die schöne Biegung des Wassers darum herum wahrnehmen können, die langsam dahinsegelnden Schiffe und die Blaue Mühle auf dem äußersten Bollwerk der Stadt. Doch er saß schon wieder und schaute zu dem Mädchen hinauf. Fast unmöglich, in seinen Blick nicht
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