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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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einer Miene, die er genau der meinen anpaßt, geht er hinter mir hinaus und läßt den Zirkel in Verwunderung zurück.
    Unsere Fahrräder sind vor Malevil im Dickicht versteckt.
    »Richtung Malejac«, sage ich lakonisch.
    Wir fahren schweigend nebeneinanderher, sogar noch auf ebener Straße. Ich habe den kleinen Colin sehr gern. In der Schule
     mußte ich mich anfänglich häufig schützend vor ihn stellen, denn mit seinen lebhaften, schlauen Haselnußaugen, mit den schrägstehenden
     Brauen und den hochgezogenen Mundwinkeln ist er unter den robusten Burschen, die mit zwölf Jahren bereits den Traktor fahren,
     leicht und schmächtig wie eine Libelle.
    Ich rechne damit, die Kirche leer zu finden; doch kaum haben wir uns in die Bank der Katechismusschüler gesetzt, tritt Abbé
     Lebas schleppenden Schrittes und mit gekrümmtem Rücken aus der Sakristei. Mit tiefem Mißvergnügen sehe ich seine lange, herabhängende
     Nase und sein weit vorspringendes Kinn im Halbschatten hinter einer Säule auftauchen.
    Sobald er uns zu dieser ungewohnten Stunde in seiner Kirche erblickt, stürzt er sich auf uns, wie der Habicht auf die Feldmaus,
     und bohrt seine stechenden Augen in die unsern.
    »Was habt ihr beiden denn hier zu suchen?« herrscht er uns an.
    |22| »Ich komme ein kurzes Gebet verrichten«, sage ich, schaue ihn mit meinem blauesten Blick an und halte dabei die gefalteten
     Hände dezent über den Hosenschlitz. »Wie Sie es uns angeraten haben«, füge ich mit lammfrommer Miene hinzu.
    »Und du?« wendet er sich grob an Colin.
    »Ich gleichfalls«, sagt Colin, indes sein schelmischer Mund und seine sprühenden Augen die Ernsthaftigkeit seiner Antwort
     sehr beeinträchtigen.
    Mit seinem schwarzen, von Argwohn umdüsterten Blick sieht uns der Pfarrer einen nach dem andern an.
    »Seid ihr nicht vielmehr zum Beichten gekommen?« fragt er, an mich gewendet.
    »Nein, Herr Pfarrer«, sage ich mit fester Stimme und füge hinzu: »Ich habe bereits am Samstag gebeichtet.«
    Er richtet sich zornig auf und wirft einen bedeutungsgeladenen Blick auf mich.
    »Und du willst mir erzählen, daß du seit Samstag keine Sünde begangen hast?«
    Ich gerate in Verwirrung. Meine blutschänderische Leidenschaft für Adelaide ist dem Pfarrer leider nicht unbekannt. Daß sie
     blutschänderisch ist, nehme ich zumindest an seit dem Tage, als der Pfarrer zu mir sagte: Schämst du dich nicht! Eine Frau,
     die so alt ist wie deine Mutter! Und die das Doppelte von dir wiegt! fügte er noch hinzu, warum, weiß ich nicht. Denn im Grunde
     ist die Liebe keine Frage des Gewichts. Schon gar nicht, wenn es sich bloß um »schlechte Gedanken« handelt.
    »O doch«, sage ich. »Aber nichts von Bedeutung.«
    »Nichts von Bedeutung!« sagt er und schlägt entrüstet die Hände zusammen. »Was denn zum Beispiel?«
    »Nun«, sage ich aufs Geratewohl, »ich habe meinen Vater belogen.«
    »Schon gut«, sagt Abbé Lebas. »Und weiter?«
    Ich blicke ihn an. Er wird mir doch wohl nicht bloß so und ohne mein Einverständnis mitten in der Kirche die Beichte abnehmen?
     Und vor Colin obendrein!
    »Mehr war nicht«, sage ich bestimmt.
    Abbé Lebas wirft mir einen bohrenden Blick zu, aber ich fange ihn an der Oberfläche meiner hellen Augen ab, so daß er kraftlos
     an meiner Nase herabgleitet.
    »Und du?« fragt er und wendet sich an Colin.
    |23| »Ich gleichfalls«, sagt Colin.
    »Du gleichfalls!« höhnt der Abbé. »Auch du hast deinen Vater belogen! Und findest es nicht von Bedeutung!«
    »Nein, Herr Pfarrer«, sagt Colin, »bei mir ist es die Mutter, die ich belogen habe.« Seine Mundwinkel ziehen sich zu den Schläfen
     hinauf.
    Ich fürchte schon, Abbé Lebas wird platzen und uns aus der geweihten Stätte verjagen. Doch es gelingt ihm, sich zu beherrschen.
    »So, dir ist irgendwie der Gedanke gekommen, in die Kirche zu gehen und ein kurzes Gebet zu verrichten?« sagt er in fast drohendem
     Ton und immer noch an Colin gewendet.
    Ich öffne den Mund, um zu antworten, Abbé Lebas aber fährt mir dazwischen.
    »Du, Comte, bist still! Dich kenne ich! Nie um eine Antwort verlegen! Laß Colin sprechen!«
    »Nein, Herr Pfarrer«, sagt Colin. »Nicht mir ist der Gedanke gekommen, sondern Comte.«
    »Ah, Comte war es! Prächtig, prächtig! Noch wahrscheinlicher!« sagt Abbé Lebas mit plumper Ironie. »Und wo wart ihr, als er
     auf den Gedanken gekommen ist?«
    »Auf der Landstraße«, sagt Colin. »Wir fuhren so dahin, ohne an was Böses zu denken, als Comte plötzlich

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