Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
zu mir sagte: Hör
     mal, wenn wir für ein kurzes Gebet in die Kirche gingen? Das ist ein Gedanke, sagte ich. Und da sind wir nun«, fügt der kleine
     Colin hinzu, während er unbewußt seine Mundwinkel schürzt.
    »Hör mal, wenn wir für ein kurzes Gebet in die Kirche gingen!« parodiert Abbé Lebas in andauernder Wut.
    Rasch, mit einer Stimme wie ein Säbelhieb, setzt er hinzu: »Und woher kamt ihr, als ihr mit dem Fahrrad auf dieser Landstraße
     fuhrt?«
    »Von den Sept Fayards«, sagt Colin ohne Stocken.
    Und das ist genial von dem kleinen Colin, denn wenn es in Malejac einen Menschen gibt, an den Abbé Lebas sich nicht wenden
     kann, um nachzuprüfen, wie wir unsere Zeit verbracht haben, so ist das mein Onkel.
    Abbé Lebas’ finsterer Blick schweift von meinen unschuldsvoll offenen Augen zu dem gondelförmigen Lächeln Colins. Er befindet
     sich in der Lage eines Musketiers, der beim Zweikampf seinen Degen zehn Schritt davonfliegen sieht; so wenigstens |24| ist das Bild, das ich mir hinterher ausdenke, um im Zirkel über unsere Unterhaltung Bericht zu erstatten.
    »Na, dann betet nur, betet«, sagt Abbé Lebas schließlich mit saurer Miene. »Ihr habt es alle beide bitter nötig!«
    Er kehrt uns den Rücken, als lieferte er uns dem Leibhaftigen aus. Schleppenden Schrittes und mit gekrümmtem Rücken, sein
     schweres Profil vor sich her schiebend, geht er wieder in die Sakristei und schlägt die Tür hinter sich zu.
    Als alles wieder still geworden ist, kreuze ich die Arme über der Brust, hefte den Blick auf das kleine Licht des Tabernakels
     und sage mit leiser Stimme, doch so, daß Colin es hören kann: »Lieber Gott, bitte vergib mir, daß ich die Religion beleidigt
     habe.«
    Hätte in diesem Moment die Tabernakeltür sich aufgetan im strahlenden Licht und eine tiefe Stimme, klangvoll wie die Stimme
     eines Radiosprechers, hätte gesagt: Mein Kind, ich vergebe dir, und zur Buße sollst du mir zehn Vaterunser aufsagen – ich
     wäre nicht sonderlich erstaunt gewesen. Doch es geschah nichts, und ich war genötigt, meine Stimme als die seine aufzufassen
     und mir selbst die zehn Vaterunser aufzuerlegen. Ich bin nahe daran, der Symmetrie wegen zehn Aves hinzuzufügen, sehe aber
     davon ab, weil ich mir sage: Falls Gott zufällig Protestant ist, wüßte Er mir keinen Dank, wenn ich die Heilige Jungfrau zu
     sehr in den Vordergrund rückte.
    Noch habe ich keine drei Vaterunser hergesagt, als Colin mich mit dem Ellbogen anstößt.
    »Was machst du denn noch? Gehen wir jetzt?«
    Ich drehe mich nach ihm um und sehe ihn streng an. »Warte! Ich muß doch wohl die Buße tun, die er mir auferlegt hat.«
    Colin verstummt. Und in der Folgezeit wird er weiter schweigen. Kein Wort darüber. Keine Verwunderung. Keine Fragen.
    Und für mich selbst ziehe ich die Frage, ob es mir Ernst war, heute nicht in Betracht. Mit elf Jahren ist alles Spiel. Was
     mich frappiert, was ich nicht vergessen kann, ist die Kühnheit, mit der ich glaubte, mich über Abbé Lebas hinwegsetzen und
     unmittelbare Verbindung mit Gott aufnehmen zu können.
    April 1970: das nächste Wegzeichen. Ein Sprung von etwa zwanzig Jahren. Es fällt mir einigermaßen schwer, meine kurzen Hosen
     abzulegen, um mir die langen Erwachsenenhosen anzuziehen. Ich bin fünfunddreißig Jahre, Schuldirektor in Malejac, |25| und in seiner Küche, mir gegenüber, sitzt der Onkel und raucht seine Pfeife. Sein Pferdehandel geht gut, zu gut sogar. Um
     ihn auszudehnen, sucht er Land zu kaufen, und für das, was ihm zusagt, verdoppelt sich, sobald er auftaucht, der Preis – man
     hält ihn für reich.
    »Schau dir nur Berthaud an. Du kennst Berthaud. Zwei Jahre schon führt er mich an der Nase herum. Um mir Unsummen abzufordern!
     Übrigens pfeif ich auf den Hof von Berthaud. Der war schon immer nur ein Notnagel. Nein, Emmanuel, ich will dir sagen, was
     ich gebraucht hätte: Malevil.«
    »Malevil!«
    »Ja«, sagt der Onkel. »Malevil!«
    »Aber da ist doch nichts«, sage ich verblüfft, »nur Wald und Ruinen.«
    »Hoho«, sagt der Onkel. »Ich muß dich wohl belehren, was da ist. Malevil, das sind fünfundsechzig Hektar auserlesener Boden,
     der seit noch nicht fünfzig Jahren von Niederwald überwachsen ist. Malevil ist ein Weinberg, der zu Zeiten meines Vaters den
     besten Wein dieser Gegend getragen hat. Alles ist neu anzupflanzen, zugegeben, aber der Boden ist da. Malevil hat einen Weinkeller,
     wie es in Malejac keinen zweiten gibt: gewölbt, kühl und so groß wie

Weitere Kostenlose Bücher