Malevil
der Schulhof. Malevil hat einen Burgwall, wo du als Anbau
und mit den fertig behauenen Steinen, nach denen du dich nur zu bücken brauchst, eine Menge Stallungen und Boxen errichten
kannst. Und überdies ist Malevil gleich nebenan. Es grenzt an die Sept Fayards. Man könnte es fast dazurechnen«, sagt er mit
unbewußtem Humor, als ob die Burg einstmals zu dem Bauernhof gehört hätte.
Es ist die Zeit nach der Abendmahlzeit. Der Onkel sitzt, an seiner Pfeife saugend, nicht am, sondern parallel zum Küchentisch,
er hat den Hosengürtel über seinem mageren Bauch ein wenig gelockert.
Ich sehe den Onkel an, und er merkt, daß ich schon weiß, was er sagen will.
»Ach ja!« sagt er. »Ich habe mir die Geschichte vermasselt.« Wieder die Pfeife.
»Ich habe Grimaud angebrüllt.«
»Grimaud?«
»Der die Geschäfte des Grafen führt. Da er das Vertrauen des Grafen hat und der Graf, der in Paris wohnt, nichts ohne |26| ihn tun würde, hat er Handgeld verlangt. Er nannte das ein ›Verhandlungshonorar‹.«
»Niedlich ausgedrückt.«
»Findest du auch«, sagt der Onkel.
Er lutscht an seiner Pfeife.
»Viel?«
»Zwei Millionen.«
»Oho!«
»Keine Kleinigkeit. Aber man hätte miteinander reden können. Statt dessen habe ich an den Grafen geschrieben, und der Graf,
der Idiot, hat meinen Brief an Grimaud weitergegeben. Und Grimaud kam, mir Vorhaltungen zu machen.«
Ein Seufzer, der sich mit einer Rauchwolke vermengt.
»Zweiter Fehler, und der ist nicht wiedergutzumachen: Ich habe Grimaud angebrüllt. Ein Beweis, siehst du, daß man auch mit
sechzig noch Dummheiten begeht. Im Geschäftsleben darf man niemand anbrüllen, Emmanuel, merk dir das, nicht mal einen Betrüger.
Weil ein Betrüger, und sei er noch so abgebrüht, dennoch seine Eigenliebe hat. Von diesem Tage an hat Grimaud mir den Weg
versperrt. Dem Grafen habe ich noch zweimal geschrieben. Er hat mir nie geantwortet.«
Schweigen. Ich kenne den Onkel zu gut, als daß ich ihn mit Worten zu trösten versuchte. Er mag nicht bedauert werden. Übrigens
zuckt er die Achseln, legt seine Füße auf einen Stuhl, hakt seinen linken Daumen im Gürtel fest und fährt fort:
»Verpatzt ist verpatzt. Ich kann schließlich auch ohne Malevil leben. Und ich lebe nicht schlecht. Ich verdiene genügend Geld,
und vor allem tu ich, was mir gefällt. Ich habe keinen Menschen über mir oder neben mir, der mich triezen könnte. Und ich
finde das Leben interessant. Und da ich bei guter Gesundheit bin, kann das noch zwanzig Jahre so weitergehen. Mehr verlange
ich nicht.«
Anscheinend war auch das schon zuviel. Das Gespräch fand an einem Sonntagabend statt. Am Sonntag darauf kam der Onkel auf
der Heimfahrt von einem Fußballspiel in La Roque mit meinen Eltern bei einem Autounfall ums Leben.
Von Malejac nach La Roque sind nur fünfzehn Kilometer Fahrt; die aber reichten aus, daß ein Bus den kleinen 4 L an einem Baum
zerschmetterte. Normalerweise wäre der Onkel wohl mit den jungen Burschen, die er in Kost hatte, zum Fußballspiel |27| gefahren, sein Peugeot-Break aber war zur Reparatur in der Werkstatt, und sein Citroën-Lieferwagen, der ihm zum Transport
der Pferde diente, war unterwegs, weil einer seiner Kunden darauf bestanden hatte, am Sonntag beliefert zu werden. Auch ich
hätte mich in dem 4 L befinden müssen, doch am gleichen Vormittag hatte einer meiner großen Schüler einen schweren Sturz mit
dem Moped erlitten, und ich war am Nachmittag in die Stadt gefahren, um mich im Krankenhaus nach seinem Befinden zu erkundigen.
Wäre Abbé Lebas noch am Leben gewesen, hätte er gesagt: Die Vorsehung, Emmanuel, hat dich gerettet. Ja, doch weshalb gerade
mich? Entmutigend an Sprüchen solcher Art ist, daß sie das Problem immer nur weiter zurück verlagern. Besser wäre es, gar
nichts zu sagen. Doch das gerade kann man nicht. Das Ereignis ist so sinnlos – und so stark ist, trotz allem, der Wunsch,
es zu verstehen.
Die drei verstümmelten Leichen wurden in die Sept Fayards gebracht, und ich hielt, in Erwartung, daß meine Schwestern einträfen,
gemeinsam mit der Menou die Totenwache. Sie verlief in völliger Stille und ohne eine Träne, indes Momo in einem Winkel des
Zimmers auf dem Boden saß und auf jede Frage mit »Nein« antwortete. Spät am Abend begannen die Pferde zu wiehern, er hatte
ihre Gerste vergessen. Die Menou blickte ihn an, er aber schüttelte mit verstörter Miene den Kopf: nein. Ich stand auf und
besorgte die
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