Malice - Du entkommst ihm nicht
verlieren, wenn er zurückkehrte. Er wusste zwar nicht mit Sicherheit , ob es wirklich allen so erging wie Henry Galesworth, aber es erschien ihm nur logisch. Nur so hatte Malice auf Dauer ein Geheimnis bleiben können. Aber wenn er zurückkehrte und sich tatsächlich an nichts erinnerte, wäre alles umsonst gewesen. Er würde weder Kady noch den vielen zukünftigen Opfern von Tall Jake helfen können.
Und genau dieser Gedanke war es, der ihn eine Entscheidung fällen ließ.
Ich will nicht vergessen.
Seth konnte die Vorstellung nicht ertragen, einen Teil seiner Erinnerun g – seines Selbs t – zu verlieren. Er wollte Luke oder das, was er in der Menagerie erlebt hatte, oder den Kampf mit dem Zeithüter nicht vergessen. Außerdem: Wenn er jetzt nach Hause fuhr, schlug er die Tür zu einer Welt zu, die wahre Abenteuer und echte Gefahren versprach. Eine Welt voller unkalkulierbarer Risiken, nicht wie zu Hause, wo man nie mehr als einen Handyanruf von einer Rettungsstelle entfernt war, wo es Sicherheitschecks gab und einem ein ganzes Heer von Experten zur Seite stand. In Malice galten ganz andere Regeln, diese Welt war lebensbedrohlich und übertraf alles, was er sich in seinen wildesten Träumen jemals hätte vorstellen können.
Wären Lewis und Clark umgekehrt? Oder David Livingstone und Columbus? Natürlich nicht. Es gab nur eine Richtung und zwar vorwärts, immer weiter vorwärts.
Justin sah ihn an. »Du fährst nicht, stimmt’s?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
Seth schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kann nicht nach Hause. Ich bin hier noch nicht fertig.« Er hielt Justin sein Ticket hin. »Hier.«
Justins Augen wurden groß. »Du willst mir dein Ticket schenken?«
»Klar. Mit dem weißen Ticket kann man überall hinfahren und das schwarze ist nur innerhalb von Malice gültig, stimmt’s?«
»Ja schon, abe r …«
»Also, was soll ich dann mit dem weißen Ticket? Ich kann jetzt noch nicht nach Hause fahren, Justin. Nimm du es. Ich gehe noch mal in die Menagerie zurück und versuche mir ein schwarzes Ticket zu besorgen. Jetzt, wo der Zeithüter nicht mehr da ist, ist es bestimmt nicht mehr so gef…«
»Moment, Moment. Ich glaub, du hast da irgendwas falsch verstanden.« Justin zog ein schwarzes Ticket aus der Tasche. »Ich hab schon lange eins.«
»Was?« , rief Seth fassungslos. »Aber dan n …« Er hatte so viele Fragen, dass er nicht wusste, welche er zuerst stellen sollte. »Dan n … abe r … warum bist du denn dann im Uhrenturm geblieben?«
»Weil ich keine Ahnung habe, wo ich hinfahren soll«, antwortete Justin achselzuckend. »Außerdem macht es mir Spaß, an den Zischlern rumzubasteln und Sachen zu reparieren oder auseinanderzubauen und rauszufinden, wie sie funktionieren.«
»Aber du hast mir ein weißes Ticket geschenkt. Du hättest es doch selbst behalten und damit nach Hause fahren können!«
»Bei mir wäre es auch verschwendet gewesen«, sagte Justin. »Ich geh nicht von hier weg.«
Sie sahen sich lange an. Auf ihre nachdenklichen Gesichter fiel der Schatten des gewaltigen Zugs, der neben ihnen aufragte.
Seth dachte daran, dass Justin ihn in die Menagerie geführt und zum Zeithüter begleitet hatte, obwohl er bereits ein Ticket besessen hatte. Er hätte jederzeit in eine andere Domäne fahren können, lange bevor Seth hergekommen war. Er hätte in Ruhe abwarten können, bis die Uhr wieder ging, und dann in den Zug steigen können. Er war zäh, und Seth nahm nicht an, dass er sich aus purer Gutherzigkeit opfern würde, um irgendjemandem zu helfen.
Je länger er nachdachte, desto verwirrter wurde er. Ihm fiel kein einziger Grund ein, warum Justin sein Leben aufs Spiel gesetzt haben könnte, um ihn in den Uhrenturm zu bringen.
»Und du hättest mir das weiße Ticket wirklich geschenkt?«, fragte Justin staunend.
Beide zuckten zusammen, als plötzlich ein ohrenbetäubender Pfiff ertönte. Seth brauchte einen Moment, bis er begriff, dass es der Zug war.
»Steig lieber ein, Alter!«, rief Justin. »Er fährt gleich ab.«
»Aber ich weiß immer noch nicht, wo ich hinfahren soll«, sagte Seth.
»Was hält dich denn noch in Malice?«
Seth hatte plötzlich ein Bild vor Auge n – sein bester Freund Luke in einem Keller eingesperrt, von Monstern verschlungen. »Ich muss Tall Jake stoppen«, sagte er schließlich. »Ich muss ihn daran hindern, sich noch mehr Jungs und Mädchen zu holen.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Keine Ahnung! Ich kenn mich hier ja
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