Malice - Du entkommst ihm nicht
setzte.
Justin grinste triumphierend. »Du kannst mir ruhig sagen, dass ich ein Genie bin.«
Während sie auf den Aufzug warteten, ging Seth probeweise ein paar Schritte im Kreis herum. Erleichtert stellte er fest, dass der scharfe Schmerz in seinem Knöchel zu einem kaum noch wahrnehmbaren Pochen abgeklungen war. Dann würde die Schwellung bestimmt auch bald zurückgehen. Dafür, dass er gerade mit dem Zeithüter einen Kampf auf Leben und Tod geführt hatte, war er noch mit einem blauen Auge davongekommen.
Überhaupt fiel ihm auf, dass er erstaunlich ruhig war. Vor ein paar Tagen hätte er noch völlig panisch reagiert, wenn plötzlich so ein Monster vor ihm gestanden hätt e – vielleicht wäre er vor lauter Entsetzen sogar verrückt geworden. Er hätte nie gedacht, dass er bei der Begegnung mit etwas so unvorstellbar Grauenhaftem die Nerven bewahren würde. Anscheinend hatte er sich in dieser neuen Welt schon eingewöhnt.
»Worüber freust du dich so?«, fragte Justin, und Seth bemerkte erst in diesem Moment, dass er lächelte. Er hatte gerade daran gedacht, wie es sich angefühlt hatte, den Zeithüter zu besiegen. Es war absolut verrückt, aber seit er in Malice war, fühlte er sich wacher und lebendiger als je zuvor.
Allerdings wusste er nicht, wie er das Justin hätte erklären sollen, also schüttelte er nur den Kopf und grinste.
»Spinner«, sagte Justin, aber er lächelte.
2
Der Aufzug brachte sie direkt in die Wartungskorridore hinunter. Eigentlich wollte Seth zuerst ins Versteck zurück, um den anderen zu berichten, dass Colm tot war und dass sie den Zeithüter besiegt hatten, doch Justin zog ihn gleich in Richtung Bahnhof.
»Das werden die Penner schon noch früh genug erfahren. Außerdem ändert es sowieso nichts. Wart’s ab, die setzen sofort einen neuen Zeithüter ein. Die lassen die Uhr doch nicht unbewacht.«
»Wer sind die? «
Justin machte eine vage Handbewegung. » Die eben, du weißt schon. Die, die solche Sachen beschließen. Und jetzt halt den Mund und beeil dich lieber. Wenn der Zug weg ist, ist er weg, und man weiß nie, wann der nächste kommt. Also los.«
Vielleicht spürten die Zischler den Tod ihres Schöpfers und Gebieters, vielleicht war es auch einfach nur Glück, jedenfalls erreichten Justin und Seth den Bahnhof, ohne von ihnen angegriffen zu werden. Der Zug stand immer noch am Gleis. Ein monströser stachelbewehrter Albtraum aus schwarzem Eisen und Geschützen. Die Türen standen weit offen, aber der unheimliche Schaffner war nirgends zu sehen.
»Sieht so aus, als wären wir gerade rechtzeitig gekommen.« Justin warf einen Blick auf die Uhr über dem Torbogen. Sie zeigte genau eine Minute vor sieben. »Hast du dein Ticket?«
Seth zog den weißen Fahrschein aus der Tasche und wedelte damit. Plötzlich stutzte er und musste laut über sich selbst lachen. »Oh Mann!« Weit vorauszuplanen war noch nie seine Stärke gewesen, aber diesmal hatte er etwas Entscheidendes vergessen. »Ähe m …« Er räusperte sich. »Ich weiß noch gar nicht, wo ich hinfahren soll.«
Justin runzelte die Stirn. »Na ja, nach Hause, wohin denn sonst? Hallo? Weißes Ticke t – Freifahrt in die Freiheit!«
Seth betrachtete das weiße Papier in seinen Händen. Ein Freifahrtschein nach draußen. Mit diesem Ticket konnte er nach Hause fahren und musste nie wieder zurückkehren. Er hatte Malice besiegt. Er war ein Überlebender, einer der wenigen Auserwählten, die Tall Jake begegnet und ihm entkommen waren.
Wie Henry Galesworth.
Er starrte nachdenklich ins Dunkel des Bahnhofs und fragte sich zum ersten Mal, ob Kady ihn jetzt sehen konnte. Ob sie es geschafft hatte, sich ein aktuelles Heft zu besorgen. Hatte sie seinen Kampf gegen den Zeithüter miterlebt? Seltsamerweise hatte er die ganze Zeit über keinen einzigen Moment lang das Gefühl gehabt, eine Figur in einem Comic zu sein. Er hatte völlig vergessen, dass er für ein Publikum spielte.
Was würde Kady an seiner Stelle tun? Hatte sie womöglich jetzt in diesem Moment das Heft in den Händen und hoffte, dass er sich dafür entschied zurückzukehren? Wenn sie tatsächlich noch einmal zu dem Comicladen gegangen war, konnte inzwischen alles Mögliche passiert sein.
Er bereute es bitter, dass er Lukes Rat nicht gefolgt war, sie auf keinen Fall in die Sache mit reinzuziehen. Womöglich schwebte sie in Lebensgefahr und er war bloß eine Figur in einem Comic, die ihr nicht helfen konnte.
Andererseits riskierte er, sein Gedächtnis zu
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