Malina
warum hier schon wieder ein alter Zettel auftaucht, ich könnte schon am Format des Papiers erraten, DIN A 4,wo ich es gekauft habe, in einer Krämerei auf dem Land, in der Nähe von einem See, und es ist die Rede von dir, von einer Fahrt nach Niederösterreich. Ich lasse es dich aber nicht lesen, du darfst nur auf das eine Wort, das darübergeschrieben ist, schauen.
Malina: Todesarten.
Ich: Aber auf dem nächsten Zettel, DIN A 2, zwei Jahre später geschrieben, steht ›Todesraten‹. Was wollte ich nur sagen? Ich könnte mich verschrieben haben. Wieso, wann und wo? Rate aber, was ich über dich und Atti Altenwyl geschrieben habe! Du errätst es eben nicht! Es ist damals ein großer Lastwagen mit Baumstämmen vor euch langsam in einer Kurve aufwärts gefahren, du hast gemerkt, wie die schlecht verketteten Stämme ins Rutschen kamen, du hast gesehen, wie die ganze Fuhre nach rückwärts rutschte, auf euren Wagen zu, und dann und dann ... So sag schon!
Malina: Wie kommst du dazu, dir das einzubilden? Du mußt ja verrückt gewesen sein.
Ich: Ich weiß es auch nicht, aber ich bilde es mir nicht ein, denn kurz danach ist doch wieder etwas geschehen, du warst mit Martin und Atti schwimmen in der Nacht im Wolfgangsee, du bist am weitesten hinausgeschwommen, und in deinem linken Fuß fing der Krampf an, und dann und dann ... Weißt du etwas mehr darüber?
Malina: Wie kommst du nur darauf, es ist ganz unmöglich, daß du etwas weißt, du bist ja nicht dabeigewesen.
Ich: Wenn ich aber nicht dabeigewesen bin, dann gibst du doch etwas zu, ich könnte nämlich dabeigewesen sein, auch wenn ich nicht dabei war. Und wie war das mit der Steckdose? Warum hast du damals in der Nacht den Stecker in deinem Zimmer nicht mehr in die Dose drücken wollen, warum bist du im Dunkeln gesessen, was war in alle Lichtschalter gefahren, daß du so oft im Dunkeln bleiben mußtest?
Malina: Ich bin oft im Dunkel geblieben. Du standst ja damals im Licht.
Ich: Nein, das habe ich mir so ausgedacht.
Malina: Es ist aber wahr. Und, woher weißt du es?
Ich: Ich kann es doch nicht wissen, wie kann es also wahr sein?
Ich kann nicht mehr weiterreden, weil Malina zwei Blätter nimmt, sie zerknüllt und mir ins Gesicht wirft. Obwohl ein Papierknäuel nicht weh tut und sofort niederfällt auf den Fußboden, fürchte ich eskommen. Malina nimmt mich an den Schultern und schüttelt mich, er könnte mir auch mit der Faust ins Gesicht schlagen, aber das wird er nicht tun, er wird es ohnedies noch zu hören bekommen. Aber dann kommt ein flacher Schlag, der mich wach macht, ich weiß wieder, wo ich bin.
Ich: (accelerando) Ich schlafe dir nicht ein.
Malina: Wo war es vor Stockerau?
Ich: (crescendo) Hör auf damit, es war irgendein Ort vor Stockerau, schlag mich nicht, bitte nicht schlagen, es war kurz vor Korneuburg, aber hör auf, mich zu fragen. Ich bin zermalmt worden, du ja nicht!
Mit einem brennenden, heißer werdenden Gesicht sitze ich da und bitte Malina, mir die Puderdose aus der Handtasche zu geben. Ich trete auf die zerknüllten Papiere und schiebe sie weg mit dem Fuß, aber Malina hebt sie auf und glättet sie sorgsam. Ohne sie anzusehen, legt er sie zurück in die Lade. Ich muß doch ins Bad gehen, denn wenn ich so aussehe, können wir nicht mehr ausgehen, ich werde hoffentlich kein blaues Auge bekommen, es sind auch nur rote Flecken auf dem Gesicht, und ich möchte jetzt unbedingt zu den Drei Husaren, weil Malinaes mir versprochen hat und Ivan keine Zeit hat. Malina meint, es werde schon gehen, ich solle mir mehr von dieser bräunlichen Creme auf das Gesicht tun, ich schmiere noch etwas fond de teint über die Wangen, er hat ja recht, es wird schon gehen, und auf dem Weg in der Luft wird alles vergehen. Malina verspricht mir Spargel mit Sauce Hollandaise und auch Schneeballen mit Schokolade. Ich traue diesem Abendessen nicht mehr. Während ich zum zweitenmal die Wimperntusche auftrage, fragt Malina: Warum weißt du das alles?
Heute soll er mich nicht mehr fragen.
Ich: (presto, prestissimo) Ich will aber Spargel mit Sauce Mousseline und eine Crème Caramel. Ich kann nicht hellsehen. Ich habe es nur ausgestanden. Ich bin beinahe ertrunken, doch nicht du. Ich will keine Crème Caramel, sondern Crêpes surprise, irgendwas mit surprise.
Denn aus solchen Wünschen entsteht noch Leben in diesen Minuten, wenn ich zu kurz komme mit meinem Leben neben Malinas Leben.
Malina: Was verstehst du unter Leben? Ich denke, du willst noch jemand anrufen
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