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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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oder wir gehen heute besser zu dritt in die Drei Husaren. Wen möchtest du dabei haben, Alexander oder Martin, vielleicht fällt dir dann ein, was du unter Leben verstehst.
    Ich: Ja, wenn ich darunter noch etwas verstünde ... Du hast recht, es käme besser jemand dazu. Ich ziehe das alte Schwarze an, mit dem neuen Gürtel.
    Malina: Aber nimm auch den Schal, du weißt schon welchen. Tu mir diesen einen Gefallen, wenn du schon das gestreifte Kleid nie anziehst. Warum ziehst du es nie an?
    Ich: Ich werde es noch einmal anziehen. Bitte frag jetzt nicht. Ich muß mich überwinden. Aber sonst mag ich nur noch das Leben mit dir, mit dem Schal, den du mir zuerst geschenkt hast, mit allen Gegenständen danach. Leben ist eine Seite lesen, die du gelesen hast, oder dir über die Schulter sehen beim Lesen, mitlesen und nichts vergessen davon, weil du nichts vergißt. Es ist auch ein Umhergehen in diesem Hohlraum, in dem das Ganze schon Platz hat, ein Weg zur Glan und die Wege entlang der Gail, auf die ganze Goria liege ich hingestreckt mit meinen Heften, ich kritzle siewieder voll: Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie. Ich lebe schon die frühesten Zeiten, als wärs seit jeher, mit dir, immer gleichzeitig mit heute, passiv, ohne etwas anzugreifen, etwas heraufzurufen. Ich lasse mich nur mehr leben. Es muß einfach alles gleichzeitig aufkommen und auf mich Eindruck machen.
    Malina: Was ist Leben?
    Ich: Es ist das, was man nicht leben kann.
    Malina: Was ist es?
    Ich: (più mosso, forte) Laß mich in Ruh.
    Malina: Was?
    Ich: (molto meno mosso) Was du und ich zusammenlegen können, das ist das Leben. Genügt dir das?
    Malina: Du und ich? Warum nicht gleich ›wir‹?
    Ich: (tempo giusto) Ich mag kein Wir, kein Man, kein Beide und so weiter und so weiter.
    Malina: Ich hätte beinahe gedacht, du magst vor allem kein Ich mehr.
    Ich: (soavemente) Ist das ein Widerspruch?
    Malina: Doch.
    Ich: (andante con grazia) Es ist kein Widerspruch, solange ich dich will. Nicht mich möchte ich, sondern dich, und wie findest du das?
    Malina: Es wäre ein Abenteuer, das dein gefährlichstes wird. Es hat aber schon angefangen.
    Ich: (tempo) Ja eben, es hat längst angefangen, war längst das Leben. (vivace) Weißt du, was ich eben an mir gesehen habe? daß meine Haut nicht mehr wie früher ist, sie ist einfach anders, obwohl ich nicht eine Falte mehr entdecken kann. Es sind immer dieselben da, die ich schon mit zwanzig bekommen habe, sie werden nur tiefer, genauer. Ist das ein Hinweis, und was bedeutet er? Im allgemeinen weiß man ja, wohin es führt, nämlich zum Ende. Aber wohin führt es uns? in welche Faltengesichter wirst du, werde ich verschwinden? Nicht das Älterwerden verwundert mich, sondern die Unbekannte, die auf eine Unbekannte folgen wird. Wie werde ich dann sein? Ich frage es mich, wie man sich vor Zeiten einmal gefragt hat, was nach dem Tode sein wird, mit einem gleich großen Fragezeichen, das sinnlos ist, weil man es sich nicht vorzustellen vermag. Vernünftigerweise kann ich mir darunter auch nichts vorstellen. Ich weiß nur, daß ich nicht mehr bin, wie ich früher war, mir um kein Haar bekannter, mir um nichts näher.Es ist mir nur eine Unbekannte immer nachgeglitten in eine weitere Unbekannte.
    Malina: Vergiß nicht, diese Unbekannte heute hat noch etwas im Sinn, sie hat noch jemand im Sinn, sie liebt vielleicht, wer weiß, sie haßt vielleicht, sie möchte vielleicht noch einmal telefonieren.
    Ich: (senza pedale) Das geht dich nichts an, denn es gehört nicht dazu.
    Malina: Es gehört sehr dazu, denn es wird alles sehr beschleunigen.
    Ich: Ja, das möchtest du wohl. (piano) Noch eine Niederlage mitansehen. (pianissimo) Noch diese.
    Malina: Ich habe dir doch nur gesagt, es wird eine Beschleunigung sein. Du wirst dich nicht mehr brauchen. Ich werde dich auch nicht mehr brauchen.
    Ich: (arioso dolente) Jemand hat mir schon gesagt, ich habe eben niemand, der mich braucht.
    Malina: Damit wird ein jemand etwas anderes gemeint haben. Vergiß nicht, daß ich anders denke. Du hast zu lange vergessen, wie ich existiere neben dir in dieser Zeit.
    Ich: (cantabile) Ich und vergessen? Ich dich vergessen!
    Malina: Wie gut du mich mit einem Tonfall belügen kannst und wie hinterrücks du zugleich die Wahrheit sagen kannst!
    Ich: (crescendo) Ich dich vergessen!
    Malina: Komm schon. Hast du alles?
    Ich: (forte) Ich habe nie alles. (rubato) Denk du an alles. An den Schlüssel, ans Absperren, ans Lichterausmachen.
    Malina: Wir

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