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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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gehen und mich erkälten? Ich kann ja morgen in den Zeitungen lesen, wie es war, was sie gesagt haben, und außerdem habe ich eine Abneigung gegen Begräbnisse, es weiß heute einfach kein Mensch mehr, wie man sich bei einem Todesfall benimmt und wie auf einem Friedhof. Ich will auch nicht, daß man mir immerzu mitteilt, Haderer oder sonst irgend jemand sei gestorben. Man teilt mir ja auch nicht immerzu mit, daß jemand am Lebenist. Für mich bleibt sowieso alles gleich, ob ich jemand einmal gemocht oder nicht gemocht habe, und daß ich nur noch bestimmte Personen treffe, treffen kann, weil einige nicht mehr am Leben sind, das wundert mich nicht, aber aus anderen Gründen. Willst du mir erklären, warum ich darüber informiert sein muß, daß Herr Haderer oder eine andere Berühmtheit, ein Dirigent oder ein Politiker, ein Bankier oder ein Philosoph, seit gestern oder seit heute plötzlich tot sind. Es interessiert mich nicht. Für mich ist nie jemand gestorben und selten lebt jemand, außer auf meiner Gedankenbühne.
    Malina: Ich lebe also meistens für dich nicht?
    Ich: Du lebst. Du lebst sogar meistens, aber du beweist mir auch, daß du lebst. Was beweisen mir die anderen? Doch nichts.
    Malina: ›Der Himmel ist von einem tiefen Schwarz.‹
    Ich: Man könnte es verwenden. Es klingt, als lebte derjenige, der es geschrieben hat. Das ist endlich einmal eine Überraschung.
    Malina: ›Der Himmel ist von einem kaum vorstellbaren tiefen Schwarz. Die Sterne sind sehr hell, flimmern aber nicht, wegen der fehlenden Atmosphäre.‹
    Ich: Oh! Der nimmt es genau.
    Malina: ›Die Sonne ist eine glühende Scheibe, die in den schwarzen Samt des Himmels eingedrückt ist. Ich war sehr ergriffen von der Endlosigkeit des kosmischen Raumes, von dieser unvorstellbaren Weite ...‹
    Ich: Wer ist dieser Mystiker?
    Malina: Alexej Leonow, der für zehn Minuten in den Weltraum gegangen ist.
    Ich: Nicht schlecht. Aber Samt, ich weiß nicht, ob ich Samt gesagt hätte. Ist der Mensch ein Poet nebenbei?
    Malina: Nein, er malt in seiner freien Zeit. Er wußte die längste Zeit nicht, ob er Maler oder Kosmonaut werden wollte.
    Ich: Ein verständlicher Zweifel in der Berufswahl. Aber dann wie ein romantischer Wanderbursche über den Weltraum zu reden ...
    Malina: Die Menschen ändern sich nicht so sehr. Irgend etwas ergreift sie immer, wenn es nur endlos oder unvorstellbar oder unergründlich ist, von tiefem Schwarz, sie spazieren im Wald oder gehen im Weltraum mit ihrem eigenen Geheimnis in einem Geheimnis herum.
    Ich: Und das kommt dann auf die Nachwelt! Man könnte also aufhören, sich zu wundern über den Fortschritt. Später wird Leonow eine Datscha bekommen und Rosen pflanzen, und nach Jahren wird man ihm milde lächelnd zuhören, wenn er noch einmal über den Woschod 2 spricht. Großväterchen Leonow, erzähl bitte, wie das damals war, diese ersten Minuten dort draußen! Es war einmal ein Mond, zu dem alle fliegen wollten, und der Mond war weit weg und unwirtlich, aber eines schönen Tages kam Alexej im Glück an, und sieh da ...
    Malina: Ziemlich seltsam ist, daß er den Ural nicht bemerkte, weil er sich gerade in diesem Moment neben dem Schiff im Raum überschlug.
    Ich: So mußte es ja kommen. Man überschlägt sich meistens gerade, wenn man etwas in den Blick bekommen oder zu fassen bekommen möchte, den Ural oder das Wort dafür, einen Gedanken oder die Worte dafür. Mir ergeht es genauso wie unserem Großväterchen, immer entgeht mir etwas, aber inwendig, wenn ich diesen unendlichen Raum exploriere, der in mir ist. Es hat sich nicht viel geändert seit der guten alten Zeit, als man die ersten Male in den Weltraum ging.
    Malina: Unendlich?
    Ich: Gewiß. Wie sollte dieser Raum anders als unendlich sein?
    Ich muß mich nur eine Stunde hinlegen, aus der dann zwei werden, denn ich halte mit Malina das Reden nicht lange aus.

    Malina: Du mußt unbedingt einmal aufräumen bei dir, in diesen ganzen staubigen verbleichten Blättern und Papierfetzen, darin wird sich eines Tages kein Mensch auskennen.
    Ich: Wie bitte? Was soll das heißen? Hier braucht sich kein Mensch auszukennen. Ich werde schon meine Gründe haben, alles immer mehr und mehr durcheinanderzubringen. Wenn aber jemand ein Recht hat, sich diese ›Fetzen‹ anzusehen, dann bist du es. Du wirst dich aber nicht auskennen, mein Lieber, nach Jahren würdest du nicht verstehen, was das eine und das andere bedeutet.
    Malina: Laß es mich doch einmal versuchen.
    Ich: Dann erklär dir,

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