Malina
werden heute abend einmal über die Zukunft reden. Es muß unbedingt einmal aufgeräumt werden bei dir. In diesem ganzen Durcheinander wird sich sonst niemand auskennen.
Malina ist schon an der Tür, aber ich gehe rasch noch einmal zurück durch den Korridor, denn ich muß vor dem Ausgehen noch einmal telefonieren, und deswegen kommen wir nie rechtzeitig aus dem Haus. Ich muß die Nummer wählen, es ist ein Zwang, ein Einfall, ich habe nur eine Nummer im Kopf, es ist nicht meine Paßnummer, keine Zimmernummer in Paris, nicht mein Geburtsdatum, nicht das Datum von heute, und ich wähle, trotz Malinas Ungeduld, 726893 , keine Zahl, die sonst in irgend jemandes Kopf ist, aber ich kann sie aufsagen, singen, pfeifen, herausweinen, in mich hineinlachen, es können sie meine Finger im Dunkeln auf der Wählscheibe finden, ohne daß ich mir die Nummer vorsagen muß.
Ja, ich bin es
Nein, nur ich
Nein. Ja?
Ja, im Gehen
Ich rufe dich später
Ja, sehr viel später
Ich rufe dich noch später an!
Malina: Sag mir endlich, wie du auf solche Gedanken gekommen bist. Ich bin doch nie nach Stockerau gefahren mit Atti, ich war nie im Wolfgangsee mit Martin und Atti schwimmen in der Nacht.
Ich: Ich sehe immer alles ganz deutlich vor mir, ich male es mir aus, so sagt man doch, zum Beispiel genau diese vielen langen Baumstämme auf dem Auto, die alle ins Rutschen kommen, und ich sitze mit Atti Altenwyl im Auto, während sie auf uns zurutschen und wir nicht zurücksetzen können, weil dicht hinter uns ein Auto nach dem anderen steht, und ich weiß jetzt, es kommen die Raummeter Holz auf mich nieder.
Malina: Aber wir sitzen doch beide hier, und ich sage dir noch einmal, ich bin nie mit ihm nach Stockerau gefahren.
Ich: Woher weißt du dann, daß ich mir die Straße nach Stockerau vorgestellt habe? Ich habe nämlich zuerst gar nichts von Stockerau gesagt, nur im allgemeinen von Niederösterreich gesprochen und auch nur daran gedacht, wegen Tante Marie.
Malina: Ich fürchte wirklich, du bist verrückt.
Ich: Nicht so sehr. Und nicht sprechen wie (piano, pianissimo) Ivan.
Malina: Nicht sprechen wie wer?
Ich: (abbandonandosi, sotto voce) Lieb mich, nein, mehr als das, lieb mich mehr, lieb du mich ganz, damit es bald zu Ende ist.
Malina: Du weißt alles von mir? Und auch alles von allen anderen?
Ich: (presto alla tedesca) Aber nein, ich weiß nichts. Von den anderen schon gar nichts! (non troppo, vivo) Mit dem Ausmalen, das war ein Gerede, ich habe gar nicht von dir sprechen wollen, nicht ausdrücklich von dir. Denn gerade du hast nie Angst, nie Angst gehabt. Wir sitzen beide wirklich hier, aber ich habe Angst. (con sentimento ed espressione) Ich hätte dich nicht vorhin um etwas gebeten, wenn du je solche Angst gehabt hättest.
Ich habe meinen Kopf in eine Hand von Malina gelegt, Malina sagt nichts, er bewegt sich nicht, aber er findet auch keine Zärtlichkeit für meinen Kopf. Mit der anderen Hand zündet er sich die Zigarette an. Mein Kopf ist nicht mehr auf seiner Handfläche, und ich versuche, gerade zu sitzen und mir nichts anmerken zu lassen.
Malina: Warum legst du schon wieder die Hand an den Nacken?
Ich: Ja, ich glaube, das mache ich oft.
Malina: Ist es davon gekommen, ist es aus jener Zeit?
Ich: Ja. Ja, ich bin jetzt sicher. Es ist bestimmt davon gekommen, und dann ist immer mehr dazugekommen. Es kommt eben immer wieder. Ich muß meinen Kopf halten. Ich mache es aber so, daß man es möglichst nicht merkt. Unter den Haaren fahre ich mit der Hand durch und stütze den Kopf. Der andere denkt dann, ich höre ganz besonders genau zu und es sei eine Art von Bewegung, wie Beineübereinanderschlagen oder das Kinn in die Hand stützen.
Malina: Es kann aber wie eine Unart aussehen.
Ich: Es ist meine Art, mich an mich zu klammern, wenn ich mich nicht an dich klammern kann.
Malina: Was hast du in den Jahren danach erreicht?
Ich: (legato) Nichts. Zuerst nichts. Dann habe ich angefangen, die Jahre abzutragen. Das war das schwerste, weil in mir diese Zerfahrenheit war, ich habe nicht mehr die Kraft gehabt, auch nur die Akzidentien meines Unglücks wegzuräumen. Weil ich an das Unglück nicht herangekommen bin, war soviel Nebensächliches zu beseitigen, Flugplätze, Straßen, Lokale, Geschäfte, bestimmte Gerichte und Weine, sehr viele Leute, alles mögliche Gerede und Geschwätz. In der Hauptsache aber eine Fälschung. Ich war ganz verfälscht, man hat mir falsche Papiere in die Hand gedrückt, hat mich deportiert dahin und
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