Malina
und säubern für das Leben. Marcel ist aufgestanden und mitgegangen, ein sehr friedlicher Mann, auch nach ein paar Gläsern Wein noch ein weiser, widerstandsloser Mann. Es war ihm vermutlich völlig gleichgültig an diesem Tag, daß sie kamen, und vielleicht dachte er auch, daß er wieder zurückkönne auf seinen guten Platz auf der Straße, wo die warme Luft der Metro durch die Schächte heraufkommt. Aber in dem Waschsaal, für das Gemeinwohl, mit den vielen Duschen, kam auch die Reihe an ihn, sie haben ihn unter die Dusche gestellt, die sicher nicht zu heiß und nicht zu kalt war, nur ist er zum ersten Mal nackt gewesen nach vielen Jahren und unter das Wasser gekommen. Ehe es jemand begreifen und nach ihm langen konnte, war er schon umgefallen und auf der Stelle tot. Du siehst, was ich meine! Malina sieht mich etwas unsicher an, obwohl er sonst nie unsicher ist. Ich hätte mir die Geschichte ersparen können. Aber ich spüre wieder einmal die Dusche, ich weiß, was man Marcel nicht hätte wegwaschen dürfen. Wenn jemand in der Ausdünstung seines Glücks lebt, wenn für jemand nicht mehr viel Worte da sind, sondern nur das ›Vergelts Gott‹, ›Gott soll es Ihnen vergelten‹, soll man ihn nicht zu waschen versuchen, nicht wegwaschen, was für jemand gut ist, jemand säubern wollen, für ein neues Leben, das es nicht gibt.
Ich: An Marcels Stelle wäre ich auch beim ersten Strahl tot umgefallen.
Malina: So war das Glück ja stets ...
Ich: Warum mußt du immer meine Gedankenvorwegnehmen? Ich denke doch jetzt wirklich an Marcel, nein, ich denke fast nie mehr an ihn, es ist eine Episode, ich denke an mich und schon an etwas anderes, Marcel ist mir nur zu Hilfe gekommen.
Malina: – es ist des Geistes schönes Morgen, das niemals kommt.
Ich: Du mußt mich nicht immer an mein Schulheft erinnern. Es muß noch eine ganze Menge darin gestanden sein, aber ich habe es verbrannt in der Waschküche. Ich muß jetzt noch von einer dünnen Glücksschicht bedeckt sein, es soll nur kein Guß kommen und einen bestimmten Geruch abspülen, ohne den ich nicht sein kann.
Malina: Seit wann stehst du so gut mit der Welt, seit wann bist du glücklich?
Ich: Du beobachtest zuviel, deswegen bemerkst du nichts.
Malina: Es ist umgekehrt. Ich habe doch alles bemerkt, aber beobachtet habe ich dich nie.
Ich: Aber ich habe dich zeitweise sogar leben lassen, wie du wolltest, ohne dich zu stören, das ist mehr, das ist großmütiger.
Malina: Auch das habe ich bemerkt, und einmal wirst du ja wissen, ob es gut war, mich zu vergessen, oder ob es nicht besser ist, mich wieder wahrzunehmen. Nur wirst duwahrscheinlich keine Wahl haben, du hast schon jetzt keine mehr.
Ich: Ich dich vergessen, wie könnt ich dich je vergessen! ich habe es bloß versucht, habe mir diesen Anschein gegeben, um dir zu beweisen, daß es auch ohne dich geht.
Malina hält diese Heuchelei für keiner Antwort wert, er wird mir nicht vorrechnen, wie viele Tage und Nächte ich ihn vergessen habe, aber auch er ist ein Heuchler, denn er weiß, wieviel schlimmer als jeder Vorwurf für mich seine Rücksicht war und noch manchmal sein wird. Aber wir finden schon zueinander, denn ich brauche mein Doppelleben, mein Ivanleben und mein Malinafeld, ich kann nicht sein, wo Ivan nicht ist, aber ebensowenig kann ich heimkommen, wenn Malina nicht da ist.
Ivan sagt: Hör bloß auf damit!
Ich sage noch einmal: Ivan, ich möchte dir gerne einmal etwas sagen, es muß ja nicht heute sein, aber einmal muß ich es dir sagen.
Du hast keine Zigaretten mehr?
Ja, das wollte ich dir sagen, mir sind wieder einmal meine Zigaretten ausgegangen.
Ivan ist bereit, mit mir ein Stück herumzufahren in der Stadt, um nach Zigaretten zu suchen, und weil es nirgends welche gibt, halten wir vor dem HotelImperial, beim Portier bekommt Ivan endlich diese Zigaretten. Ich stehe mit der Welt wieder einmal gut. Auch wenn man sie nur auf Abruf liebt, kann man die Welt lieben, und ein Mensch ist dazwischen, der den Transformator macht, aber das muß Ivan nicht wissen, da er wieder zu fürchten beginnt, daß ich ihn liebe, und da er mir Feuer gibt und ich wieder rauchen kann und warten, brauche ich nicht zu sagen: Mach dir bloß keine Sorgen, du bist nur da für mich zum Feuergeben, danke für das Feuer, danke für jede angezündete Zigarette, danke für das Herumfahren in der Stadt, danke für das Nachhausefahren!
Malina: Gehst du zum Begräbnis von Haderer?
Ich: Nein, warum sollte ich auf den Zentralfriedhof
Weitere Kostenlose Bücher