Malina
dorthin, dann wieder angestellt zum Danebensitzen, zum Zustimmen, wo ich früher nie zugestimmt hätte, zum Bestätigen, zum Rechtgeben. Es waren lauter mir völlig fremde Denkweisen, die ich hätte nachahmen müssen. Am Ende war ich eine einzige Fälschung, kenntlich darunter vielleicht nur noch für dich.
Malina: Was hast du daraus gelernt?
Ich: (con sordina) Nichts. Es ist nichts dabei für mich herausgekommen.
Malina: Das ist nicht wahr.
Ich: (agitato) Es ist aber wahr. Ich habe noch einmal angefangen, zu reden, zu gehen, etwas zu empfinden, mich zu erinnern an die Zeit vorher, die also vor der Zeit liegt, an die ich mich nicht erinnern will. (tempo giusto) Und eines Tages ging es ja wieder gut mit uns beiden. Seit wann stehen wir eigentlich so gut miteinander?
Malina: Seit immer, denke ich.
Ich: (leggermente) Wie höflich, wie nett, wie liebenswürdig ist es von dir, mir das zu sagen. (quasi una fantasia) Ich habe manchmal gedacht, du hättest meinetwegen so oft, an mindestens dreihundertsechzig Tagen im Jahr einmal am Tag Todesangst gehabt. Du wärest bei jedem Klingeln zusammengefahren, hättest in jedem Schatten neben dir einen gefährlichen Menschen gesehen, es wären die Holzfuhren vor dir auf einem Lastwagen ganz besonders bedrohlich gewesen. Beim Hören von Schritten hinter dir wärest du beinahe umgekommen! Wenn du ein Buch gelesen hast, schien plötzlich die Tür aufzugehen, und du hast es in Todesangst fallen gelassen, weil ich keine Bücher mehr lesen durfte. Ich habe gedacht, du bist viele hundertmal,nein, tausendmal gestorben, und das hätte dich später so ungewöhnlich ruhig gemacht. (ben marcato) Wie sehr habe ich mich getäuscht.
Malina weiß zwar, daß ich gerne mit ihm komme an den Abenden, aber er erwartet es nicht, er ist nicht überrascht, wenn es einen Grund für Absagen gibt, einmal wegen der Strümpfe, die zerrissen sind, dann natürlich ist oftmals Ivan an meinem Zögern schuld, weil Ivan nicht weiß, noch nicht weiß, wie sein Abend aussieht, und dann gibt es auch Schwierigkeiten in der Wahl der Lokale, weil Malina in einige niemals gehen würde, er kann Krach nicht leiden, Zigeunermusik und Altwiener Lieder nicht vertragen, schlechte Luft und Nachtclubbeleuchtungen sind nicht nach seinem Geschmack, er kann nicht essen, unvernünftig wie Ivan, er ißt, ohne ersichtlichen Grund, mit Maßen, er kann nicht trinken wie Ivan, er raucht nur gelegentlich, fast mir zuliebe.
An den Abenden, wo Malina ohne mich bei Leuten ist, weiß ich, daß Malina dort wenig sagt. Er wird schweigen, zuhören, jemand zum Reden bringen und jedem am Ende das Gefühl geben, einmal etwasgesagt zu haben, was klüger ist als die sonstigen Sätze, etwas bedeutender gewesen zu sein, weil Malina den anderen heraufhebt zu sich selber. Dennoch wird er immer Distanz halten, weil er ganz Distanz ist. Er wird nie ein Wort aus seinem Leben sagen, nie über mich sprechen, aber trotzdem nicht den Eindruck erwecken, er verschweige etwas. Malina verschweigt auch wirklich nichts, denn er hat, im besten Sinn, nichts zu sagen. Er webt nicht an dem großen Text mit, an der Textur des Verbreitbaren, das ganze Wiener Gewebe hat ein paar kleine Löcher, die nur durch Malina entstanden sind. Er ist darum auch die äußerste Negation des Anstoßens, des Verursachens, des Ausbreitens, des Ausbrechens, des Rechtfertigens – wofür auch soll Malina sich rechtfertigen! Er kann Charme haben, er sagt höfliche, schimmernde Sätze, die nie zu freundlich sind, er hat, bei einem Abschied etwa, eine winzige Herzlichkeit, sie lugt aus ihm heraus und versteckt sich sofort wieder, weil er sich danach gleich umdreht und geht, er geht immer sehr rasch, er küßt Frauen die Hand, und wenn er ihnen behilflich sein muß, nimmt er sie einen Augenblick am Arm, er berührt sie so leicht, daß keine sich dabei etwas denken kann und doch etwas denken muß. Malina ist schon im Aufbruch, die Leute schauen ihn nur überrascht an, weil sie nicht wissen, aus welchem Grund er geht, denn er sagt nicht verlegen, warum,wohin, weshalb gerade jetzt. Es wagt ihn aber auch niemand zu fragen. Es ist ausgeschlossen, daß Malina jemand mit diesen Fragen kommt, wie man sie mir andauernd stellt: Was machen Sie denn morgen abend? Um Himmels willen, Sie werden doch nicht jetzt schon gehen! Sie müssen unbedingt den Sowieso, die Sowieso kennenlernen! Nein, Malina passiert so etwas nicht, er hat eine Tarnkappe, ein fast immer geschlossenes Visier. Ich beneide Malina und
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