Malina
gleichgültig sein, was ich über mich sagen wollte. Ich ziehe mich rasch an, ich murmle, ich müsse heute früher zu Hause sein. Wo ist Malina? Mein Gott, wenn ich nur schon bei Malina wäre, denn es ist wieder nicht auszuhalten, ich hätte nicht reden sollen, und ich sage zu Ivan: Bitte verzeih, es ist mir einfach schlecht, nein, ich habe etwas vergessen, macht es dir etwas aus, würde es dir etwas ausmachen? Ich muß sofort nach Hause, ich glaube, ich habe den Kaffee auf der Herdplatte stehenlassen, ich habe die Platte sicher nicht abgedreht!
Nein, es macht Ivan nie etwas aus.
Zu Hause lege ich mich auf den Boden und warte und atme, veratme mich und veratme mich immer mehr, es sind mehr als ein paar Extrasystolen, und ich möchte nicht sterben, ehe Malina kommt, ichschaue auf die Weckeruhr, es vergeht fast keine Minute, und für mich vergeht hier das Leben. Ich weiß nicht, wie ich ins Bad gekommen bin, ich halte die Hände unter das kalte fließende Wasser, es rinnt die Arme bis zum Ellbogen hinauf, ich reibe die Arme und die Füße und die Beine mit einem eiskalten Lappen, aufwärts zum Herzen, es vergeht keine Zeit, aber jetzt muß Malina kommen, und dann ist Malina da, und ich lasse mich sofort fallen, endlich, mein Gott, warum kommst du so spät nach Hause!
Einmal war ich auf einem Schiff, in der Bar saßen wir herum, eine Gruppe von Leuten, die nach Amerika fuhren, ein paar kannte ich schon. Aber dann fing einer an; sich mit seiner glühenden Zigarette Löcher in den Handrücken zu brennen. Nur er hat darüber gelacht, wir wußten nicht, ob wir auch lachen durften. Meistens weiß man nicht, warum die Leute sich etwas antun, sie sagen es einem doch nicht oder sie sagen etwas ganz anderes, damit man den wirklichen Grund nicht erfährt. In einer Berliner Wohnung habe ich einmal einen Mann getroffen, der ein Glas Wodka nach dem anderen trank, aber er wurde nie betrunken, er redete noch nach Stunden mit mir, furchtbar nüchtern, und als niemand zuhörte, fragte er mich, ob er mich wiedersehen könne, denn er wolle mich unbedingt wiedersehen,und ich sagte so deutlich nichts darauf, daß es ein Einverständnis war. Es wurde dann von der Weltlage gesprochen, und jemand legte eine Platte auf den Plattenspieler, L’ ASCENSEUR A L’ECHAFAUD . Als ein paar Töne nur leise klimperten und die Rede auf den heißen Draht zwischen Washington und Moskau gekommen war, fragte der Mann, auf die leichteste Weise, wie vorhin, als er fragte, ob ich nicht besser Samtkleider tragen solle, er sähe mich am liebsten in Samt: Haben Sie schon einmal jemand ermordet? Ich sagte auf die leichteste Weise: Nein, natürlich nicht, und Sie? Der Mann sagte: Ja, ich bin ein Mörder. Ich sagte eine Weile nichts, er sah mich sanft an und sprach noch einmal: Sie dürfen es ruhig glauben! Ich glaubte es ihm auch, weil es wahr sein mußte, es war der dritte Mörder, mit dem ich an einem Tisch gesessen bin, nur war er der erste und einzige, der es ausgesprochen hat. Die beiden anderen Male geschah es an Abenden in Wien, und ich erfuhr es nachher, beim Nachhausegehen. Hie und da wollte ich etwas aufschreiben über diese drei Abende, die viele Jahre auseinanderliegen, und über ein einzelnes Blatt schrieb ich versuchsweise: Drei Mörder. Aber ich bin dann damit nicht zu Rande gekommen, denn ich wollte über diese drei nur etwas aufzeichnen, um hinzudeuten auf einen vierten, denn die Geschichte von meinen drei Mördern ergibt keine Geschichte, ich habe keinen mehrwiedergesehen, sie leben heute noch irgendwo und essen mit anderen zu Abend und tun sich etwas an. Einer ist nicht mehr interniert in Steinhof, einer ist in Amerika und hat seinen Namen geändert, einer trinkt, um immer nüchterner zu werden, und ist nicht mehr in Berlin. Von dem vierten kann ich nicht reden, ich erinnere mich nicht an ihn, ich vergesse, ich erinnere mich nicht ...
(Ich bin aber gegen den elektrischen Stacheldraht gelaufen.) Ich erinnere mich doch an eine Kleinigkeit. Ich habe einmal Tag für Tag mein Essen weggeschüttet, ich habe heimlich auch den Tee weggeschüttet, ich muß gewußt haben, warum.
Marcel aber ist so gestorben:
Eines Tages sollten alle clochards von Paris aus dem Stadtbild entfernt werden. Die Fürsorge, die alleröffentlichste Fürsorge, die auch für ein anständiges Stadtbild sorgt, ist zusammen mit der Polizei gekommen in die Rue Monge, und weiter wollte man nichts, nur die alten Männer zurückführen in das Leben und deswegen zuerst einmal waschen
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