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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Ivan mich braucht, wie ich ihn brauche, und für das ganze Leben. Manchmal braucht er mich auch, denn er läutet, ich öffne, er hält eine Zeitung in der Hand, sieht kurz herein und sagt: Ich muß gleich wieder gehen, brauchst du dein Auto heute abend? Ivan ist mit meinem Autoschlüssel weggegangen, und schon dieses kurze Erscheinen von Ivan bewegt die Wirklichkeit wieder, jeder Satz von ihm beeinflußt mich und die Weltmeere und die Gestirne, ich kauein der Küche an einem Wurstbrot und stelle die Teller in den Ausguß, während Ivan noch immer zu mir sagt ›ich muß gleich wieder gehen‹, ich reinige das verstaubte Grammophon und mit einer Samtbürste streiche ich sanft über die herumliegenden Schallplatten, ›ich will dich sofort hierhaben‹ sagt Ivan, während er mit meinem Auto auf die Hohe Warte fährt, denn er muß rasch die Kinder sehen, Béla hat sich die Hand verstaucht, ›ich will dich sofort hierhaben!‹ hat Ivan aber gesagt, und diesen gefährlichen Satz muß ich unterbringen zwischen Wurstbrotessen und Brieföffnen und Abstauben, weil es zwischen den alltäglichen Dingen, die nicht mehr alltäglich sind, jederzeit zu einer feurigen Explosion kommen kann. Ich starre vor mich hin und horche und schreibe eine Liste:
    Elektriker
    Stromrechnung
    Saphirnadel
    Zahnpasta
    Briefe an Z. K. und Anwalt
    Reinigung
    Ich könnte das Grammophon anstellen, aber ich höre ›ich will dich sofort hierhaben!‹. Ich könnte auf Malina warten, aber ich gehe lieber ins Bett, ich bin todmüde, furchtbar müde, zu Tod erschöpft ›ich will dich sofort –‹ Ivan muß gleich wieder gehen, er bringt mir nur den Schlüssel zurück, Béla hat sichdoch nicht die Hand verstaucht, seine Mutter hat übertrieben, ich halte Ivan im Korridor fest, und Ivan fragt: Was hast du denn, warum grinst du so blöde?
    O nichts, es geht mir nur so blödsinnig gut, ich werde blöde davon.
    Aber Ivan sagt: Es heißt nicht blödsinnig gut, es heißt einfach gut. Wie ist es dir denn früher ergangen, wenn es dir gutging? Warst du immer so blöde davon?
    Ich schüttle den Kopf, Ivan hebt im Scherz die Hand, um nach mir zu schlagen, da kommt die Angst wieder, ich sage erstickt: Bitte nicht, nicht nach meinem Kopf.
    Der Schüttelfrost geht vorbei nach einer Stunde und ich denke, ich sollte es Ivan sagen, aber Ivan würde etwas so Irrsinniges nicht begreifen, und weil ich von Mord zu ihm nichts sagen kann, bin ich zurückgeworfen auf mich, für immer, ich versuche nur, dieses Geschwür auszuschneiden, auszubrennen, Ivans wegen, ich kann nicht liegenbleiben in dieser Lache von Gedanken über Mord, mit Ivan müßte es mir gelingen, diese Gedanken auszumerzen, er wird diese Krankheit von mir nehmen, er soll mich erlösen. Aber da Ivan mich nicht liebt, mich auch nicht braucht, warum sollte er mich eines Tages lieben oder brauchen? Er sieht nur mein glatter werdendes Gesicht und freut sich, wenn er mich zum Lachenbringt, und er wird mir wieder erklären, daß wir gegen alles versichert sind, wie unsere Autos, gegen die Erdbeben und die Hurrikane, gegen die Diebstähle und die Unfälle, gegen die Feuersbrünste und gegen den Hagel, aber ich bin versichert in einem Satz und in sonst nichts. Die Welt kennt keine Versicherung für mich.
    Heute nachmittag raffe ich mich auf und gehe zu diesem Vortrag ins Institut Français, ich komme natürlich zu spät und muß hinten an der Türe stehen, von weitem grüßt mich François, der an der Botschaft arbeitet und irgendwie unsere Kulturen austauscht, versöhnt oder gegenseitig befruchtet, er weiß es selber nicht so genau, wir wissen es beide nicht, weil wir es nicht brauchen, aber unseren Staaten nützt es, er winkt mich näher, will aufstehen, deutet auf seinen Platz, aber ich will jetzt nicht stören und bis zu François vorgehen, denn ältere Damen mit Hüten und viele alte Herren, auch einige junge Leute, die neben mir an der Wand stehen, hören zu wie in der Kirche, langsam fasse ich den einen oder anderen Satz auf und schlage jetzt auch die Augen nieder, ich höre immerzu etwas von ›la prostitution universelle‹, sehr schön, denke ich, ja, wie richtig, der Mann aus Paris, mit einem asketischen blassen Gesicht, spricht mit der Stimme eines Chorknaben über die 120 Tage von Sodom, und ich höre nun schon zum zehnten Mal etwas über die universelle Prostitution, der Raum mit den Andächtigen, mit seiner universellen Sterilität, fängt sich um mich zu drehen an, aber ich möchte nun endlich wissen, ob

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