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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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hat sie verbrannt, damit sie zu wirken beginnen, doch ich frage mich, Sie fragen sich sicher auch, ob nicht mit jeder Wirkung auch ein neues Mißverständnis bewirkt wird ...
    (Bandwechsel. Herr Mühlbauer leert sein Glas in einem Zug.)
    6. Frage: .......? (Zum zweiten Mal. Wiederholung.)
    Antwort: Am liebsten war mir immer der Ausdruck ›das Haus Österreich‹, denn er hat mir besser erklärt, was mich bindet, als alle Ausdrücke, die man mir anzubieten hatte. Ich muß gelebt haben in diesem Haus zu verschiedenen Zeiten, denn ich erinnre mich sofort, in den Gassen von Prag und im Hafen von Triest, ich träume auf böhmisch, auf windisch, auf bosnisch, ich war immer zu Hause in diesem Haus und, außer im Traum, in diesem geträumten Haus, ohne die geringste Lust, es noch einmal zu bewohnen, in seinen Besitz zu gelangen, einen Anspruch zu erheben, denn die Kronländer sind an mich gefallen, ich habe abgedankt, ich habe die älteste Krone in der Kirche Am Hof niedergelegt. Stellen Sie sich vor, daß nach den beiden letzten Kriegen jedesmal mitten durch das Dorf Galicien die neue Grenze gezogen werden sollte. Galicien, das niemand außer mir kennt, das anderen Menschen nichts bedeutet, von niemand besucht und bestaunt wird, geriet immer genau unter den Federstrich auf den Stabskarten der Alliierten, aber beide Male wurde es, jedesmal aus anderen Gründen, wieder bei dem, was heute Österreich heißt, gelassen, die Grenze liegt nur wenige Kilometer davon, auf den Bergen, und im Sommer 1945 fiel die längste Zeit keine Entscheidung, ich war dorthin evakuiert, riet hin und her, was in Zukunft aus mir werden würde, ob man mich zu den Slowenen nach Jugoslawien zählen würde oder zu den Kärntnern nach Österreich, es tat mir leid, daß ich in den Slowenischstunden gedöst hatte, weil mir Französisch leichter fiel, sogar für Latein hatte ich mehr Interesse aufgebracht. Galicien wäre natürlich Galicien geblieben, unter jeder Flagge, und viel gemeint hätten wir nicht dazu, weil wir uns um Ausdehnungen überhaupt nie gekümmert haben, in der Familie hieß es immer, wenn das vorbei ist, dann werden wir wieder nach Lipica fahren, wir müssen unsere Tante in Brünn besuchen, was mag aus unseren Verwandten in Czernowitz geworden sein, die Luft ist besser im Friaul als hier, wenn du groß bist, mußt du nach Wien und Prag gehen, wenn du groß bist ...
    Ich will damit sagen, die Realitäten sind von unsimmer gleichmütig und apathisch respektiert worden, es war uns völlig gleichgültig, in welche Länder welche Orte geraten waren und noch geraten würden. Trotzdem bin ich anders gereist nach Prag als nach Paris, nur in Wien habe ich zu jeder Zeit mein Leben nicht wirklich, aber auch nicht verloren gelebt, nur in Triest war ich nicht fremd, aber es wird immer gleichgültiger. Es muß nicht sein, aber ich möchte einmal und bald, vielleicht dieses Jahr noch, nach Venedig fahren, das ich nie kennenlernen werde.
    7. Frage: .......?
    Antwort: Ich glaube, es ist ein Mißverständnis, ich könnte noch einmal anfangen und Ihnen genauer antworten, wenn Sie Geduld mit mir haben, und gäbe es doch noch ein Mißverständnis, so wäre es wenigstens neu. Vermehren können wir die Verwirrung gar nicht mehr, es hört uns ja niemand zu, anderswo wird jetzt auch gefragt und geantwortet, noch seltsamere Probleme werden anvisiert, an jedem Tag für den kommenden Tag bestellt, die Probleme werden erfunden und in Umlauf gebracht, es gibt die Probleme nicht, reden hört man von ihnen und redet deswegen darüber. Ich habe ja auch nur von den Problemen gehört, ich hätte sonst keine, wir könnten die Hände in den Schoß legen und trinken, wäre das nicht fein, Herr Mühlbauer? Aberin der Nacht und allein entstehen die erratischen Monologe, die bleiben, denn der Mensch ist ein dunkles Wesen, er ist nur Herr über sich in der Finsternis und am Tag kehrt er zurück in die Sklaverei. Sie sind jetzt mein Sklave und Sie haben mich zu Ihrer Sklavin gemacht, Sie, ein Sklave Ihres Blatts, das sich besser nicht NACHTAUSGABE nennen sollte, Ihr sklavisch abhängiges Blatt für Tausende von Sklaven ...
    (Herr Mühlbauer drückt auf eine Taste und stellt das Bandgerät ab. Ich habe ihn nicht sagen gehört: ich danke Ihnen für das Gespräch. Herr Mühlbauer ist in der größten Verlegenheit, zu einer Wiederholung bereit, schon morgen. Wenn Fräulein Jellinek hier wäre, wüßte ich, was zu sagen ist, ich werde verhindert sein oder krank oder verreist. Ich werde

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