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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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die Republik, die dem Kind seinen Namen gibt, wer hat hier etwas gegen eine unauffällige, kleine, ungelernte, schadhafte, aber unschädliche Republik gesagt?doch weder Sie noch ich, es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, beruhigen Sie sich, das Ultimatum an Serbien ist schon längst abgegangen, es hat nur ein paar Jahrhunderte von einer auch fragwürdigen Welt verändert und sie zum Ruin gebracht, man ist ja längst zu den Tagesunordnungen der neuen Welt übergegangen. Daß es unter der Sonne nichts Neues gibt, nein, das würde ich niemals sagen, das Neue gibt es, das gibt es, verlassen Sie sich darauf, nur, Herr Mühlbauer, von hier aus gesehen, wo nichts mehr geschieht, und das ist auch gut so, muß man die Vergangenheit ganz ableiden, Ihre und meine ist es ja nicht, aber wer fragt danach, man muß die Dinge ableiden, die anderen haben ja keine Zeit dazu, in ihren Ländern, in denen sie tätig sind und planen und handeln, in ihren Ländern sitzen sie, die wahren Unzeitgemäßen, denn sie sind sprachlos, es sind die Sprachlosen, die zu allen Zeiten regieren. Ich werde Ihnen ein furchtbares Geheimnis verraten: die Sprache ist die Strafe. In sie müssen alle Dinge eingehen und in ihr müssen sie wieder vergehen nach ihrer Schuld und dem Ausmaß ihrer Schuld.
    (Zeichen der Erschöpfung bei Herrn Mühlbauer. Zeichen der Erschöpfung an mir.)
    6. Frage: .......?
    Antwort: Eine Mittlerrolle? Ein Auftrag? Eine geistige Mission? Haben Sie schon einmal vermittelt?Diese Rolle ist undankbar, nur keine Aufträge mehr! Und ich weiß nicht, dieses Missionieren ... Man hat ja gesehen, was überall dabei herausgekommen ist, ich verstehe Sie nicht, aber Sie haben gewiß einen höheren Gesichtspunkt, das Höhere ist, falls es das geben sollte, sehr hoch. Es dürfte zu schmerzhaft hoch sein, um auch nur eine Stunde lang, in der dünnen Luft, allein betrieben werden zu können, wie soll man darum mit den anderen das Höhere betreiben, wenn man dazu in der tiefsten Erniedrigung sein muß, das Geistige, ich weiß nicht, ob Sie mir noch folgen wollen, Ihre Zeit ist ja so begrenzt und Ihre Spalte in der Zeitung auch, es ist eine immerwährende Demütigung, man muß nach unten gehen, nicht nach oben oder hinaus auf die Straße und auf die anderen zu, es ist die Schmach schlechthin, es verbietet sich, es ist mir unbegreiflich, wie man zu diesen hochfliegenden Ausdrücken kommt. Wem kann man hier einen Auftrag zumuten, was hier ausrichten mit einer Mission! Es ist ja nicht auszudenken, mich drückt es vollends nieder. Vielleicht haben Sie aber Verwaltung gemeint oder Archivierung? Mit den Palais, den Schlössern und den Museen haben wir ja schon den Anfang gemacht, unsere Nekropolis ist erforscht, etikettiert, bis in alle Einzelheiten auf den emaillierten Schildern beschrieben. Früher war man ja nie ganz sicher, welches das Trautsonpalais, welches das Strozzipalais ist und wo das Dreifaltigkeitsspital steht und mit welcher Geschichte beladen, aber jetzt kommt man ohne besondere Kenntnisse durch, auch ohne Fremdenführer, und die intimen Bekanntschaften, die es erfordert hätte, Zutritt zu bekommen zum Palais Palffy oder zum Leopoldinischen Trakt der Hofburg, die braucht es nicht mehr, man sollte die Verwaltungen verstärken.
    (Verlegenes Husten des Herrn Mühlbauer.)
    Ich bin natürlich gegen jede Verwaltung, gegen diese weltweite Bürokratie, unter die, von den Menschen und ihren Abbildern bis zu den Kartoffelkäfern mit ihren Abbildungen, alles gekommen ist, daran werden Sie nicht zweifeln. Aber hier handelt es sich um etwas anderes, um die kultische Administration eines Totenreichs, ich weiß nicht, aus welchem Grund Sie oder ich stolz sein sollten, die Aufmerksamkeit der Welt noch auf uns ziehen wollen, mit Festspielen, Festwochen, Musikwochen, Gedenkjahren, Kulturtagen, die Welt könnte nichts Besseres tun, als geflissentlich wegsehen, um nicht zu erschrecken, denn es könnten ihr die Augen aufgehen, was auf sie noch zukommen wird, im besten Fall, und je leiser es hier zugeht, je heimlicher unsre Totengräber arbeiten, je verborgener alles geschieht, je unhörbarer es gespielt und zu Ende gesagt wird, desto größer würde vielleicht aber die wahrhaftige Neugier werden. Das Krematorium von Wienist seine geistige Mission, sehen Sie, wir finden die Mission doch noch, man muß sich nur weit genug auseinanderreden, aber schweigen wir darüber, hier hat das Jahrhundert, an seinem brüchigsten Ort, einige Geister zum Denken befeuert und es

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