Malina
in der Gegenwart anderer Runden. Sie hatten eine so humorvolle Art. Was mich zuletzt zu stören anfing und weiter stört, das ist Ihr Name. Ihren Namen heute noch einmal niederzuschreiben, macht mir Mühe, ihn von anderen zu hören, verursacht mir augenblicklich Kopfschmerzen. Für mich selber denke ich, wenn es unvermeidlich ist, an Sie zu denken, absichtsvoll an Sie als ›Herr Genz‹ oder ›Herr Gans‹, manchmal habe ich es schon mit ›Ginz‹ versucht, aber der beste Ausweg bleibt immer noch ›Herr Gonz‹, weil ich dann von Ihrem Namen nicht zu weit abrücke, aber mit einer dialekthaften Färbung ihn ein klein wenig lächerlich machen kann. Ich muß es Ihnen einmal sagen, weil das Wort ›ganz‹ jeden Tag vorkommt, von anderen ausgesprochen, auch von mir nicht zu vermeiden, in Zeitungen und in Büchern sich in jedem Absatz findet. Ich hätte mich vorsehen müssen, schon Ihres Namens wegen, mit dem Sie weiter in mein Leben einfallen und es strapazieren über Gebühr. Hätten Sie doch Kopecky oder Wiegele geheißen, Ullmann oder Apfelböck – ich hätte ein ruhigeres Leben und ich könnte Sie über lange Strecken vergessen. Selbst wenn Sie Meier, Maier, Mayer oder Schmidt, Schmid, Schmitt hießen, bliebe mir die Möglichkeit, nicht an Sie zu denken, wenn derName fällt, sondern an einen meiner Freunde, der auch Meier heißt oder an einige Herren Schmidt, wie verschieden sie sich auch schreiben. In einer Tischrunde würde ich Erstaunen heucheln oder Eifer, ich könnte Sie ja tatsächlich in der Eile verwechseln, in der Hitze dieser allgemeinen und gemeinen Gespräche, mit einem anderen Meier oder einem anderen Schmid. Welche Idiosynkrasien! werden Sie sagen. Unlängst, als ich beinahe fürchten mußte, Sie wiederzusehen, kurz nachdem die neue Mode aufgekommen war, mit den Metallkleidern, den Kettenhemden, den Stachelfransen und dem Schmuck aus Drahtverhauen, fühlte ich mich gewappnet für eine Begegnung, nicht einmal die Ohren hätte ich frei gehabt, weil ich zwei schwere Dornenbüschel im schönsten Grau an den Ohrläppchen hängen hatte, die bei jeder Kopfbewegung schmerzten oder ins Rutschen kamen, weil man vergessen hat, mir im frühesten Alter diese Löcher in die Ohrläppchen zu bohren, die sonst allen kleinen Mädchen bei uns auf dem Land unbarmherzig hineingebohrt wurden, im zartesten Alter. Warum man nur dieses Alter das zarteste nennt, verstehe ich nicht. Ich wäre aber in diesem Panzerkleid unangreifbar gewesen, so gerüstet, so mich meiner Haut wehrend, deren Beschreibung Sie mir erlassen werden, da Sie sie einmal gut kannten ...
Sehr geehrter Herr,
Ihren Vornamen konnte ich nie aussprechen. Sie haben mir das oft vorgeworfen. Der Gedanke an eine Wiederbegegnung hat aber nicht deswegen etwas Unangenehmes für mich. Ich habe ihn mir damals ersparen können, weil es sich so fügte, ich konnte mich nicht überwinden und ich habe herausgefunden, daß diese Unfähigkeit, gewisse Namen aussprechen zu können, unter Namen sogar exzessiv zu leiden, nicht von den Namen herrührt, sondern mit dem ersten, ursprünglichen Mißtrauen einer Person gegenüber zu tun hat, ungerechtfertigt im Anfang, aber immer gerechtfertigt eines Tages. Mein instinktives Mißtrauen, das sich nur so ausdrücken konnte, mußten Sie freilich mißdeuten. Jetzt, da eine Wiederbegegnung keineswegs ausgeschlossen ist, ich manchmal nicht weiß, wie sie fürs Leben zu verhindern wäre, beunruhigt mich aber nur noch ein einziger Gedanke: daß Sie ohne weiteres Du zu mir sagen könnten, ein Du, das Sie mir aufgedrängt haben, Sie wissen unter welchen Umständen, und das ich Ihnen ein unvergeßlich widerwärtiges Intermezzo lang erlaubt habe, aus Schwäche, um Sie nicht zu verletzen, um Ihnen nicht die Grenzen vor Augen zu führen, die ich Ihnen insgeheim gesetzt habe, ja setzen mußte. Es mag üblich sein, in solchen Intermezzi ein Du einzuführen, doch dürfte es nicht gestattet sein, nach dem Ablauf eines solchen Zwischenspiels dieses Du weiter im Umlauf zu lassen. Ich werfe Ihnen nicht vor, was Sie mir an peinlichen und unaussprechlichen Erinnerungen hinterlassen haben. Ihre Dickfelligkeit jedoch, Ihr bares Unvermögen, meine Empfindlichkeiten für das Du zu spüren, es von mir und anderen zu erpressen, lassen mich fürchten, daß Sie sich immer noch einer Erpressung gar nicht bewußt sind, weil sie Ihnen ‚ganz‹ geläufig ist. Gewiß haben Sie noch nie über das Du, mit dem Sie so leichtfertig umgehen, nachgedacht, auch nicht,
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