Malina
sagt Malina nein. Malina hat keine Theorie, für ihn richtet sich alles nach der Frage ›Haben oder Nichthaben‹. Wenn es nach ihm ginge, hätten wir unser Auskommen und nie Geldsorgen, die Geldsorgen bringe ich ins Haus, mit den Bulgaren, mit den Deutschen, mit den Südamerikanern, mit den Freundinnen, mit den Freunden, mit den Bekannten, all diesen Leuten, mit der Weltlage und mit der Wetterlage. Nie habe ich gehört, und das haben Malina und Ivan gemeinsam, daß die Leute zu Ivan und Malina gehen, es kommt einfach nicht vor, sie kommen nicht auf die Idee, ich muß anziehender sein, ich dürfte den Leuten sehr viel mehr Vertrauen einflößen. Aber Malina sagt: Das kann eben nur dir passieren, ein Dümmerer findet sich nicht. Ich sage: Es ist dringend.
Im Café Landmann wartet der Bulgare auf mich, zu Lina hat er gesagt, er komme direkt aus Israel und müsse mich sprechen, ich denke mir aus, wer mich grüßen lassen wird, wem ein Unglück zugestoßen sein könnte, was aus Harry Goldmann geworden ist, den ich schon lange nicht mehr sehe in Wien,ich hoffe, es hat nichts mit den Weltangelegenheiten zu tun, hoffentlich bildet sich kein Komitee, hoffentlich sind nicht ein paar Millionen fällig, hoffentlich muß ich keinen Spaten in die Hand nehmen, ich kann nicht Spaten sehen und Schaufeln, seit damals in Klagenfurt, als sie Wilma und mich an die Wand stellten und erschießen wollten, ich kann keine Schüsse hören, seit einem Fasching, seit einem Krieg, seit einem Film. Hoffentlich werden es Grüße sein. Es kommt natürlich ganz anders, und ich habe zum Glück noch eine Grippe und 37,8, kann also nicht zu neuen Taten aufbrechen und in etwas hineingeraten. Ich kann keine Schauplätze sehen, aber wie sage ich es, daß mein Platz in der Ungargasse ist? mein Ungargassenland, daß ich halten muß, befestigen, mein einziges Land, das ich sichern muß, das ich verteidige, um das ich zittere, um das ich kämpfe, zum Sterben bereit, ich halte es mit meinen sterblichen Händen, umfangen auch hier, atemholend vor dem Café Landmann, mein Land, von der Rache aller Länder bedroht. Herr Franz begrüßt mich schon an der Tür, er sieht sich mit einer zweifelnden Gebärde um in dem überfüllten Kaffeehaus, aber ich gehe, knapp grüßend, weiter an ihm vorbei und mache die Runde, denn ich brauche keinen Tisch, es wartet ein Herr aus Israel schon seit einer halben Stunde auf mich, es ist dringend. Ein Herr hält in der Hand, auffällig ausgestreckt, mit dem Titelblatt zu den Eintretenden gerichtet, ein deutsches Magazin DER SPIEGEL , aber mit meinem Herrn habe ich nur ausgemacht, daß ich blond sein und einen blauen Frühjahrsmantel tragen werde, obwohl nicht Frühling ist, aber das Wetter wechselt von Tag zu Tag. Der Herr mit dem Magazin hebt eine Hand, aber erhebt sich nicht, und weil sonst niemand nach mir schaut, könnte es der dringende Mann sein. Er ist es, er flüstert ein schwerverständliches Deutsch, ich frage nach meinen Freunden in Tel Aviv, in Haifa, in Jerusalem, aber der Mann kennt keine Freunde von mir, er ist nicht aus Israel, war aber vor ein paar Wochen noch dort, er hat eine weite Reise hinter sich. Ich bestelle bei Herrn Adolf einen großen Braunen, ich frage nicht: Was wollen Sie von mir, wer sind Sie? wie kommen Sie zu meiner Adresse? Was führt Sie nach Wien? Der Mann flüstert: Ich bin aus Bulgarien. Ihren Namen habe ich aus dem Telefonbuch, er war meine letzte Hoffnung. Die Hauptstadt von Bulgarien muß Sofia sein, aber der Mann ist nicht aus Sofia, ich begreife, daß nicht jeder Bulgare in Sofia wohnen kann, mehr fällt mir zu Bulgarien nicht ein, es sollen dort alle Leute sehr alt werden, wegen des Joghurts, aber mein Bulgare ist nicht alt und ist nicht jung, er hat ein Gesicht zum Vergessen, er bebt ununterbrochen, wetzt auf dem Stuhl herum, greift sich an die Beine. Aus einer Mappe holt er Zeitungsausschnittehervor, alle aus deutschen Blättern, ein großes Blatt aus dem SPIEGEL , er nickt, ich solle das lesen, jetzt gleich und hier, die Ausschnitte handeln von einer Krankheit, dem Morbus Buerger, der Bulgare trinkt einen kleinen Schwarzen, und ich rühre wortlos mit dem Löffel in meinem großen Braunen herum, lese rasch, was über den Morbus Buerger geschrieben worden ist, Laienhaftes gewiß, aber dennoch muß dieser Morbus sehr selten und ungewöhnlich sein, ich schaue erwartungsvoll auf, ich weiß nicht, warum Bulgaren sich für den Morbus Buerger interessieren. Der Bulgare rückt mit dem Stuhl
Weitere Kostenlose Bücher