Malina
durcheinandergebracht und vermischt mit zerknüllten Einladungen zu einer Ausstellung, zu einem Empfang, zu einem Vortrag, vermischt mitleeren Zigarettenschachteln, überstäubt von Asche und Zigarettenstummeln. Das Karbonpapier und das Maschinschreibpapier habe ich eilig zurechtgerückt, damit Fräulein Jellinek nicht sieht, was ich bis zum frühen Morgen gemacht habe. Sie schaut aber nur bei mir vorbei, sie muß sich mit ihrem Verlobten treffen, wegen der Dokumente für das Aufgebot. Trotzdem hat sie nicht vergessen, zwei Kugelschreiber zu kaufen, aber die Stunden sind wieder nicht aufgeschrieben. Ich frage: Warum, um Himmels willen, haben Sie sie nicht aufgeschrieben, Sie wissen doch, wie ich bin! Und ich suche in meiner Handtasche und in einer anderen Handtasche, ich müßte Malina bitten um das Geld, ihn anrufen im Arsenal, aber zu guter Letzt ist das Kuvert aufgetaucht, es steckt unübersehbar im Großen Duden, mit einem Geheimzeichen von Malina darauf. Nie vergißt er etwas, nie muß ich ihn bitten darum. Im rechten Moment liegen die Kuverts in der Küche für Lina, auf dem Schreibtisch für Fräulein Jellinek, in der alten Kassette in meinem Schlafzimmer finden sich ein paar Scheine für den Friseur und alle paar Monate ein paar größere Scheine für Schuhe und Wäsche und Kleider. Nie weiß ich, wann Geld dafür da sein wird, aber wenn ein Mantel schäbig geworden ist, hat Malina auf einen für mich gespart, noch vor dem ersten kalten Tag im Jahr. Ich weiß nicht, auch wenn manchmalkein Geld mehr im Haus ist, wie Malina es immer fertigbringt, uns beide durch diese teuren Zeiten zu bringen, die Miete wird von ihm pünktlich bezahlt, meistens auch Licht, Wasser, Telefon und Autoversicherung, um die ich mich kümmern muß. Nur ein- oder zweimal hat man uns das Telefon gesperrt, aber weil wir verreist waren und auf Reisen vergeßlich sind, weil wir uns auf Reisen keine Post nachschicken lassen und keine Rechnungen. Ich sage erleichtert: Es ist wieder einmal glimpflich abgegangen, das hätten wir wieder einmal hinter uns gebracht, wenn jetzt nur keine Krankheit kommt, wenn jetzt nur nichts mit unseren Zähnen passiert! Malina kann mir nicht viel geben, aber er läßt mich lieber sparen mit dem Wirtschaftsgeld, als mir die paar Schilling nicht zu gönnen für Dinge, die wichtiger für mich sind als Vorräte und ein voller Eisschrank. Ich habe mein kleines Taschengeld, um durch Wien bummeln und bei TrzeŠniewski ein Sandwich essen und im Café Sacher einen kleinen Braunen trinken zu können, um Antoinette Altenwyl höflich Blumen schicken zu können nach einem Abendessen, um Franziska Jordan zum Geburtstag MY SIN schenken zu können, um zudringlichen oder verlorenen oder gestrandeten Leuten, die ich nicht kenne, Fahrkarten oder Geld oder Kleider geben zu können, insbesondere den Bulgaren. Malina schüttelt den Kopf, aber ein Nein kommt nur, wenner meinem Gestammel entnimmt, daß ›die Sache‹, ›der Fall‹, ›das Problem‹ immense Ausmaße annimmt, denen wir nicht gewachsen sind. Malina stärkt mir dann das Rückgrat für ein Nein, das in mir selber entstanden ist. Trotzdem mache ich im letzten Moment einen Rückzieher, ich sage: Könnten wir nicht doch, wenn wir zum Beispiel den Atti Altenwyl bitten oder wenn ich der kleinen Semmelrock sage, daß sie mit Bertold Rapatz sprechen soll, der hat doch Millionen, oder wenn du den Ministerialrat Hubalek anrufen könntest! In solchen Momenten sagt Malina entschieden: nein! Ich soll den Wiederaufbau einer Mädchenschule in Jerusalem finanzieren, ich soll dreißigtausend Schilling für ein Flüchtlingskomitee zahlen, als kleinen Beitrag, ich soll für die Überschwemmungskatastrophe in Norddeutschland und in Rumänien aufkommen, mich beteiligen mit einer Unterstützung für die Erdbebenopfer, ich soll eine Revolution finanzieren in Mexiko, in Berlin und in La Paz, aber heute noch braucht Martin dringend tausend Schilling, nur bis zum nächsten Ersten geborgt, und er ist verläßlich, Christine Wantschura braucht dringend Geld für die Ausstellung ihres Mannes, aber er darf es nicht wissen, sie will es von ihrer Mutter wiederbekommen, aber sie hat einen alten Streit hervorgeholt mit ihrer Mutter, gerade jetzt. Drei Studenten aus Frankfurt können ihr Wiener Hotel nicht bezahlen,es ist dringend, noch dringender braucht Lina für den Fernsehapparat die nächste Rate, Malina rückt mit dem Geld heraus und sagt ja, aber bei den ganz großen Katastrophen und Unternehmen
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