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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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etwas vom Tisch zurück, er deutet auf seine Beine, er ist es, der den Morbus hat. In den Kopf schießt mir die Erregung, ein wahnsinniger Schmerz, mir träumt nicht, der Schlag ist diesmal dem Bulgaren gelungen, was soll ich im Café Landmann mit diesem Mann und einem unheimlichen Morbus, was täte Malina jetzt, was würde Malina tun? Der Bulgare bleibt aber ganz ruhig und sagt, es müßten ihm nur sofort beide Beine amputiert werden und das Geld sei ihm in Wien ausgegangen, er müsse noch nach Itzehoe, wo man auf den Morbus spezialisiert ist. Ich rauche und schweige und warte, ich habe zwanzig Schilling bei mir, es ist fünf Uhr vorbei, die Bank hat geschlossen, der Morbus ist da. Vom Nebentisch schreit Herr Professor Mahler kurz vor einem Wutausbruch: Zahlen bitte! Herr Franz ruftfreudig: Komme gleich! und läuft weg und ich laufe hinter ihm her. Ich muß sofort telefonieren. Herr Franz sagt: Ist etwas, gnädige Frau, gnädige Frau gefallen mir gar nicht, Glas Wasser, Peppi, aber presto, für die gnädige Frau! An der Garderobe krame ich in meiner Handtasche, aber das kleine Telefonbuch ist nicht darin, ich suche im Telefonbuch nach der Nummer von meinem Reisebüro, der Pikkolo, der kleine Peppi, bringt ein Glas Wasser, ich krame in meiner Handtasche und finde eine Tablette, die ich vor Aufregung nicht zerbrechen kann, ich schiebe sie ganz in den Mund und trinke Wasser, die Tablette bleibt mir im Hals stecken und der kleine Peppi schreit: Jesusmariaundjosef, gnädige Frau husten ja, soll ich nicht lieber den Herrn Franz ...! Aber ich habe die Nummer gefunden, ich telefoniere und warte und trinke Wasser, ich werde verbunden, ich werde weiterverbunden, Herr Suchy ist noch im Büro. Herr Suchy wiederholt pedantisch und näselnd: Von gnädiger Frau werden ein ausländischer Herr kommen, Fahrkarte 1. Klasse nach Itzehoe, einfach, extra tausend Schilling Bargeld, hat keine Eile, erledigen wir, wird mir ein Vergnügen sein, keine Sorge, gnädige Frau, küß die Hand!
    Ich stehe eine Weile an der Garderobe und rauche, Herr Franz, im Lauf, mit wehenden Frackschößen, sieht liebenswürdig her, ich winke liebenswürdig ab, ich muß rauchen und warten. Nach ein paarMinuten gehe ich zurück zu dem Tisch mit dem Morbus. Ich bitte den Bulgaren, gleich in mein Reisebüro zu gehen, der Zug fährt in drei Stunden, ein Herr Suchy wird alles erledigen. Ich rufe: Zahlen bitte! Herr Professor Mahler, dem ich verwirrt für ein Erkennen mit einem Gruß danke, schreit lauter: Zahlen bitte! Herr Franz läuft an uns vorbei und ruft zurück: Komme gleich! Ich lege die zwanzig Schilling auf den Tisch und bedeute dem Bulgaren, daß damit die Rechnung beglichen sei. Was ich ihm wünschen soll, weiß ich nicht, aber ich sage: gute Reise!
    Ivan sagt: Da hast du dich wieder hereinlegen lassen.
    Aber Ivan!
    Malina sagt: Da haben wir es wieder, und tausend Schilling als Wegzehrung! Ich sage: Du bist doch sonst nicht so kleinlich, ich muß dir das genauer erklären, es ist ein furchtbarer Morbus.
    Malina antwortet nachsichtig: Daran zweifle ich nicht, Herr Suchy hat mich schon angerufen, dein Bulgare ist wirklich vorbeigekommen. Siehst du! sage ich, und wenn er nun keinen Morbus hat und ihm jetzt nicht beide Beine genommen werden, dann ist es ja gut, aber wenn er doch einen Morbus hat, dann müssen wir eben zahlen. Malina sagt: Mach dir bloß keine Sorgen, ich werde es schon irgendwie machen.
    Nicht eine Stunde länger hätte ich heute mit dem Leprakranken im Café Raimund sitzen können, gleich wollte ich aufspringen und mir die Hände waschen gehen, nicht um die Ansteckung zu vermeiden, sondern das Wissen von Lepra, das überging auf mich bei einem Händedruck, zu Hause wollte ich mir die Augen baden, mit Borwasser, damit sich meine Augen beruhigen, nach diesem Anblick eines zerfressenen Gesichts. Auch vor dem einzigen Flug in diesem Jahr, München und zurück in zwei Tagen, weil ich länger nicht weg sein kann aus der Ungargasse, habe ich mir ein Taxi bestellt und zu spät bemerkt, daß der Chauffeur keine Nase hatte, wir fuhren schon, weil ich leichtsinnig gesagt hatte: Schwechat, zum Flughafen! und als er sich umwandte, um zu fragen, ob er rauchen dürfe, sah ich es erst, ich fuhr ohne Nase bis nach Schwechat und stieg dort aus mit dem Koffer. Aber in der Halle überlegte ich es mir noch einmal und ließ den Flug streichen, ich fuhr sofort mit einem anderen Taxi wieder zurück. Am Abend wunderte sich Malina, weil ich zu Hause war, anstatt in

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