Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
Vom Netzwerk:
nie. So ist eben Malina, und so bin leider ich.
    Heute kommt Lina ernsthaft darauf zurück, daß ich doch die Wohnung umstellen wollte vor einem Jahr, nicht die Wohnung natürlich, sondern nur drei Möbel, und noch ehe Lina mir auseinandersetzen kann, daß es Zeit wird, etwas zu tun, sage ich leichthin: Ein anderes Mal, und wir rufen dann zwei Männer zu Hilfe! Lina schnauft: Männer! gnädige Frau, dazu brauchen wir keine Männer! Sie hat meinen Sekretär schon fünf Zentimeter geschoben, und ich fange an zuzugreifen, schließlich ist es mein Sekretär, der nicht wankt und nicht weicht, er scheint schwerer zu sein als tausend Raummeter Eichenholz. Ich schlage Lina vor, den Sekretär zuerst einmal um seinen Inhalt zu erleichtern, die Laden auszuräumen, ich murmle: Könnten Sie nicht bei dieser Gelegenheit, bei dieser einmaligen Gelegenheit, einmal die Laden ein bißchen, nein, ich habe ja nichts gesagt ... Ich sehe andächtig auf den Staub von einigen Jahren nieder. Lina ist heute nicht zu kränken, sonst würde sie bestimmt sagen, daß sie sowieso jede Woche ›drübergeht‹. Lina schnauft furchtbar: Küß die Hand, küß die Hand, der Kasten hat aber ein Gewicht!
    Ich: Aber Lina, wir rufen jetzt am besten zwei Männer, wir geben jedem ein Bier und zehn Schilling und damit basta. Denn Lina soll merken, wie kostbar sie für mich ist, wie wertvoll ihre Kraft für mich ist, daß ich bereit wäre, viele Biere für viele Männer zu zahlen, da sie Malina und mir doch unentbehrlich ist. Malina und ich wünschen nicht, daß sie sich hier einen Leistenbruch zuzieht oder einen Herzinfarkt bekommt, sie braucht keine Schränke und Kasten herumzustemmen. Nicht ich bin es, Lina ist es, die stärker ist, wir stemmen den Sekretär miteinander von einem Zimmer in das andere Zimmer, obwohl natürlich mehr als achtzig Prozent der Last Lina überlassen bleibt. Trotzdem bin ich heute böse auf Lina, weil Lina mir nichts gönnt, weil sie mir nie etwas gönnt und jetzt auch noch auf die Männer eifersüchtig ist, für die ich zwanzig Schilling ausgeben wollte, ›zum Fenster hinauswerfen‹, meint Lina. Ich habe wieder einmal alles falsch gemacht. Lina und ich hängen auf eine fatale Weise voneinander ab, wir hängen zusammen, obwohl sie sich und mir die Männer mit dem Bier nicht gönnt, obwohl nur sie laut an mir herumkritisieren darf und ich nie laut, aber insgeheim auch an ihr herumkritisiere. Darum male ich mir den Tag aus, an dem kein Mensch mehr abhängig von einem anderen ist, an dem ich ganz allein in einer Wohnung lebe, in der ein paar kleine Maschinen Lina ersetzen werden, ein Druck auf einen Knopf wird genügen, um einenSekretär aufzuheben und umzustellen, wie nichts. Niemand wird sich mehr immerzu bei einem anderen bedanken, den anderen helfen und insgeheim zornig sein auf die anderen. Niemand wird in einen Vorteil oder in einen Nachteil geraten. Aber dann sehe ich mich vor den elektrischen Maschinen, von deren Kauf mir Lina einmal im Jahr abrät, und heute rät sie mir wieder zu. Sie meint, daß man ohne eine elektrische Kaffeemühle und ohne einen elektrischen Orangenpresser heutzutage nicht mehr leben könne. Aber ich trinke doch nur so selten Kaffee, und für Malinas Orangensaft würden auch meine Kräfte noch reichen. Einen Staubsauger und einen Eisschrank habe ich zwar, aber einmal im Jahr möchte Lina unsere Wohnung in eine Maschinenfabrik verwandelt sehen, sie sagt nachdrücklich: Das hat heute aber schon jeder Mensch, die Herrschaften haben das alle!
    Ein Tag wird kommen, an dem die Menschen schwarzgoldene Augen haben, sie werden die Schönheit sehen, sie werden vom Schmutz befreit sein und von jeder Last, sie werden sich in die Lüfte heben, sie werden unter die Wasser gehen, sie werden ihre Schwielen und ihre Nöte vergessen. Ein Tag wird kommen, sie werden frei sein, es werden alle Menschen frei sein, auch von der Freiheit, die sie gemeint haben. Es wird eine größere Freiheit sein, sie wird über die Maßen sein, sie wird für ein ganzes Leben sein ...
    Im Café Heumarkt bin ich noch immer böse auf Lina, denn sie ist die gefährliche Mitwisserin mancher meiner Gedanken, sie hört mich auch manchmal Sätze am Telefon sagen, die für sie die reine Häresie sind und die es ihr erlauben würden, mich sofort aus dem Fenster zu stürzen, mich auf die Guillotine zu schicken, in die Garrotte, mich auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen. Doch ich komme nie dahinter, ob sie nur etwas dagegen hat, daß ich morgens

Weitere Kostenlose Bücher