Malina
großen Konferenz, dem der Kragen platzt, weil die anderen nicht auf der Höhe sind, András will das Märchenquartett, und es geht hin und her eine Weile, bis ich vorschlage: Spielen wir doch Schwarzer Peter. Schwarzer Peter müssen sie schon an die tausend Mal gespielt haben, aber sie sind wieder elektrisiert, Béla mischt, ich hebe ab, die Karten werden ausgeteilt, sie werden gezogen und abgelegt. Am Ende habe ich den Schwarzen Peter, und Ivan kommt herein, Béla und András winden sich vor Lachen und brüllen aus Leibeskräften: Schwarzer Peter, Schwarzer Peter! Jetzt müssen wir noch einmal mit Ivan spielen, und zuletzt geht es um Bélaund mich, leider zieht Béla von mir den Schwarzen Peter und wirft die Karten hin, er schreit mit einer heiseren Stimme: Ivan, sie ist ein Aas! Wir wechseln einen Blick über die Köpfe der Kinder hinweg. Aus Ivan grollt es gefährlich, und Béla will nichts gesagt haben. Ivan bietet zur Friedensfeier einen alten Kognak an, Béla bittet sogar darum, ihn holen zu dürfen, er läuft zweimal, er bringt die Gläser dazu, und Ivan und ich sitzen da und schweigen, die Beine übereinandergeschlagen, die Kinder spielen am Tisch behutsam und leise Blumenquartett, und ich bilde mir nichts ein. Aber dann bilde ich mir doch etwas ein, nämlich daß Ivan seine Augen zwischen den Kindern und mir hin- und hergehen läßt, abwägend fragend, vorwiegend freundlich.
Soll ich denn ewig? soll man denn ewig? muß man ein Leben warten?
In den Tuchlauben sind wir verabredet, im italienischen Eissalon. Ivan sagt, damit die Kinder nichts merken: Hallo! wie geht es dir? Ich tue vor den Kindern auch so, als hätte ich Ivan seit Wochen nicht gesehen. Wir haben auch nicht viel Zeit, Ivan bestellt ohne zu fragen viermal eine gemischte Portion, denn Béla muß in die störende Turnstunde, die jedesmal ein Problem für Ivans Mutter ist und sehr oft für Ivan, selbst für Béla, der Turnen nichtmag. Ivan kritisiert unsere Schulen und ihre Lehrpläne, insbesondere dieser irrsinnigen Turnstunden wegen, die woanders stattfinden und immer am Nachmittag. Ja glauben die Leute hier denn, jeder hätte ein paar Autos und ein paar Kindermädchen zur Verfügung! Nie höre ich Ivan sonst etwas über die Zustände in Wien sagen, er vergleicht nicht, er erzählt nichts, er scheint ein Eingehen auf Hüben und Drüben für fahrlässig und auch für unergiebig zu halten. Nur dieser Turnstunde wegen hat er heute die Nerven verloren, er hat gesagt ›bei euch‹ und das zu mir, als wäre die Turnstunde der Inbegriff einer Welt, zu der ich gehöre und die abzulehnen ist, aber ich fantasiere mir vielleicht in meiner aufsteigenden Angst etwas zusammen, ich weiß nicht, wie das mit den Turnstunden drüben in Ungarn ist. Ivan hat bezahlt, wir gehen mit den Kindern auf die Straße zum Auto, András winkt, aber Béla ist es, der fragt: Kommt sie nicht mit? warum kann sie denn nicht mitkommen? Dann sind sie alle drei durch die Tuchlauben verschwunden, ums Eck gebogen, zum Hohen Markt, verdeckt von einem Diplomatenwagen. Ich schaue und schaue noch, während keine Spur mehr von ihnen zu sehen ist, ich gehe langsam über den Petersplatz zum Graben, in eine andere Richtung, ich sollte Strümpfe kaufen, ich könnte mir einen Pullover kaufen, besonders heute sollte ich mir etwas Schönes kaufen, denn sie sindverschwunden, Ivan hat natürlich vor den Kindern nicht sagen können, ob er mich anrufen wird.
Ich höre Béla sagen: Sie soll doch mitkommen!
Am Graben habe ich mir ein neues Kleid gekauft, ein Hauskleid, das lang ist, für eine Nachmittagsstunde, für ein paar besondere Abende im Haus, ich weiß, für wen, es gefällt mir, weil es weich und lang ist und das viele Zuhausebleiben erklärt, schon heute. Ich möchte aber beim Anprobieren Ivan nicht hier haben, Malina schon gar nicht, ich kann nur, weil Malina nicht da ist, oft in den Spiegel sehen, ich muß mich im Korridor vor dem langen Spiegel mehrmals drehen, meilenweit, klaftertief, himmelhoch, sagenweit entfernt von den Männern. Eine Stunde lang kann ich zeit- und raumlos leben, mit einer tiefen Befriedigung, entführt in eine Legende, wo der Geruch einer Seife, das Prickeln von Gesichtswassern, das Knistern von Wäsche, das Eintauchen von Quasten in die Tiegel, der gedankenvolle Zug mit einem Konturenstift das einzig Wirkliche sind. Es entsteht eine Komposition, eine Frau ist zu erschaffen für ein Hauskleid. Ganz im geheimen wird wieder entworfen, was eine Frau ist, es ist dann
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