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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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christlichen Nächstenliebe halte, dürfte Dir bekannt sein. Aber ich drücke mich ungeschickt aus, ich will nur sagen, daß auch die christliche Nächstenliebe gewiß eine Möglichkeit nicht ausschließt, sie kann einem verschlossen bleiben, wie mir, ich kann mir aber durchaus vorstellen, daß man ihr zuliebe handelt, und ihr zuliebe hättest Du ja handeln dürfen.Mir wäre es allerdings lieber gewesen, du hättest es einfach mir zuliebe getan. Dazu bedarf es keiner Übereinkunft in einem Ernstfall, und der ist ja eingetreten. Liebe Lily, ich kenne Deine Großmut, Dein vielleicht extravagantes Verhalten in so vielen Situationen, und ich habe es immer bewundert. Nun sind aber sieben Jahre vergangen, und nicht einmal Dein Verstand hat ausgereicht, Dein Herz nicht zu betrügen. Wenn ein Mensch viel Herz und Verstand hat, aber nicht genug, muß es ärger für ihn selber sein, sich zu enttäuschen, als für seinen Nächsten, durch ihn enttäuscht zu werden. Ich war durchaus bereit, Herrn G. zu assistieren. Wir waren übereingekommen, zu sagen, daß wir verschiedener Meinung über das Hören von Musik waren, die Lautstärke, auch die Auswahl der Stücke natürlich, weil sich meine Geräuschempfindlichkeit in der letzten Zeit krankhaft gesteigert hatte, daß wir über Tag und Nacht uns nicht einigen konnten, über ihre Verwendung in allen Dingen, es hatte damals auch mein Zeitsinn schon sehr zu leiden angefangen, Zeiteinteilungen erschienen mir krankhaft, aber ich war bereit, zuzugeben, daß meine Einstellung der Zeit gegenüber, meine Nichteinstellung vielmehr, ein krankhaftes Ausmaß angenommen habe. Wir waren auch übereingekommen, im Notfall zu behaupten, daß wir verschiedener Meinung über die Haltung von Katzen und Hunden seien, ich war bereit zu sagen, ich sei außerstande, mit Tieren, vor allem mit Katzen und ihm zugleich in einer Wohnung zu sein, und er wollte sagen, er sei außerstande, mit einem Hund oder meiner Mutter und mir in einem Bett zu liegen. Jedenfalls hatten wir eine sehr deutliche harmonische Abmachung getroffen. Meine Vorurteile kennst Du, ich bin durch meine Erziehung, durch meine Herkunft, aber auch durch eine Werthierarchie von bestimmten Voraussetzungen ausgegangen, ich war leicht zu behandeln, weil ich an bestimmte Töne gewöhnt war, an Gesten, an gewisse Zartheiten im Umgang, und die Brutalität, mit der man meine Welt mitverletzt hat, die auch die Deine war, hätte allein genügt, mich halbwegs um den Verstand zu bringen. Ich war zuletzt, meiner Herkunft wegen, sozusagen überhaupt nicht mehr zu behandeln. Man kann über mich nicht verhandeln. Ich bin auf mir fremde, mich schädigende Bräuche nicht ansprechbar. Selbst der thailändische Botschafter, der mich zum Ausziehen der Schuhe veranlassen wollte, aber Du kennst ja diese alte Geschichte ... Ich ziehe meine Schuhe nicht aus. Meine Vorurteile gebe ich nicht bekannt. Ich habe sie. Ich ziehe mich lieber selber aus, bis auf die Schuhe. Wenn es mein Brauch einmal wirklich erfordern sollte, dann gilt es: wirf alles, was du hast, ins Feuer, bis zu den Schuhen.
    Wien, den ...
    Liebe Lily,
    mittlerweile weißt Du es gewiß, gegen Dein schlechteres Wissen, denn was auf schlechte Weise zu wissen ist, wird sich ja herumgesprochen haben. Du selbst hast nie daran geglaubt. Du bist aber trotzdem nicht gekommen. Es ist wieder mein Geburtstag. Verzeih, es ist Dein Geburtstag ...
    Liebe Lily,
    es ist heute so weit mit mir gekommen, daß ich Dich nie mehr wiedersehen möchte. Es ist kein Wunsch, der einem ersten oder letzten Affekt entspringt. In den ersten Jahren habe ich noch viele qualvolle, anklagende, vorwurfsvolle Briefe geschrieben, die aber alle, trotz dieses großen Vorwurfs, mehr von meiner Zuneigung hätten durchblicken lassen als die belanglosen Briefe, die wir einmal gewechselt haben, versehen mit den zärtlichsten Grüßen, einander umarmend in den Briefen, viel Liebes wünschend. Auch ist keine Überlegung meinem Wunsch vorausgegangen, ich überlege schon lange nicht mehr, aber ich bemerke, daß etwas in mir Dich losläßt, Dich nicht mehr umwirbt, Dich überhaupt nicht mehr sucht. Zwar könnten Herr G. oder Herr W., meinetwegen Herr A., versucht haben, durch eine Infamie, uns zu trennen, aber wie kann man getrennt werden durch einen Dritten oder durch Dritte? Einem oder den anderen die Schuld zu geben, wäre leicht, aber Schuld, falls eine spielerische besteht, was ich nicht einmal weiß, ist zu bedeutungslos, in jedem Fall. Wo kein

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