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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Schrift erfunden? Was ist die Schrift? Ist sie ein Eigentum? Wer hat die Enteignung zuerst gefordert? Allons-nous à l’Esprit? Sind wir von minderer Rasse? Sollen wir uns in die Politik mischen, nichts mehr tun und brutal sein? Sind wir verwünscht? Gehen wir nach unten? Malina steht auf, er hat mein Glas geleert. In einem tiefen Rausch werde ich meine Fragen ausschlafen. Tiere werde ich anbeten in der Nacht, mich an den heiligstenBildern vergreifen, mich an alle Lügen halten, vertiert werde ich sein im Traum und mich töten lassen, wie ein Tier.
    Im Einschlafen zuckt es durch meinen Kopf, es blitzt darin, funkelt, verdunkelt mich, es bedroht mich wieder, ist das Vernichtungsgefühl, und zu Ivan, der nicht da ist, sage ich sehr scharf: Malina niemals, Malina ist anders, du verstehst Malina nicht. Noch nie habe ich ein scharfes Wort an Ivan gerichtet, nie werde ich eines laut an ihn richten. Selbstverständlich hat Ivan auch gar nichts gegen Malina gesagt, an den er nie denkt, und wie sollte er ihn darum beneiden, mit mir hier zu leben? Er erwähnt daher Malina nicht, wie man nicht über einen Sträfling oder einen Geisteskranken in einer Familie spricht, aus Taktgefühl, und wenn ich auch für Momente meine abwesenden Augen habe, dann nur weil eine furchtbare Spannung entsteht, im Gedanken an Malina, und dieses gute, klare Mißverständnis herrscht zwischen uns dreien, ja, es herrscht, es regiert uns. Wir sind die einzigen Regierten, die sich wohlbefinden, wir leben in einem so reichen Irrtum, daß keiner gegen den anderen je die Stimme erhebt und eine Stimme gegen die Herrschaft. Draußen lähmen uns darum die anderen Menschen, weil sie sich Rechte nehmen, weil ihnen Rechte genommen odervorenthalten werden und weil sie ständig rechtlos gegeneinander aufbegehren. Ivan würde sagen: Die alle vergiften einander das Leben. Malina würde sagen: Die alle, mit ihren gemieteten Ansichten, bei diesen hohen Mieten, die werden teuer bezahlen.
    Meine gemieteten Ansichten sind schon im Schwinden. Immer leichter trenne ich mich von Ivan und immer leichter finde ich ihn wieder, weil ich weniger herrschsüchtig an ihn denke, ihn auch aus meinen Gedanken entlassen kann für Stunden, damit er sich nicht im Schlaf ununterbrochen die Handgelenke und die Fußgelenke reiben muß, ich fessele ihn nicht mehr oder nur noch sehr locker. Er zieht nicht mehr so oft die Stirn in Falten, seine Falten glätten sich, denn die Diktatur meiner Augen und meiner Zärtlichkeiten ist gemildert, ganz kurz nur verwünsche und verhexe ich ihn, damit wir erleichtert auseinandergehen können, einer geht aus der Tür, einer steigt in sein Auto und murmelt etwas: Wenn es zwanzig vor vier ist, dann komme ich gerade noch zurecht, bis zum Messegelände, und du? Ich komme auch noch gut zurecht, nein, nichts Besonderes, ich fahre morgen mit jemand ins Burgenland, nein, nicht über Nacht, ich weiß noch nicht, was meine Freunde ... Leisestes Gemurmel, da keiner vom anderen weiß, was mit diesen Freunden, mit dem Messegelände und mit dem Burgenland ist, in welchesLeben diese Worte gehören. Ich habe Ivan versprochen, nur noch Kleider anzuziehen, die schön und glücklich machen, ich habe Ivan noch rasch versprochen, regelmäßig zu essen und nichts zu trinken. In höchster Eile habe ich Ivan mein Wort gegeben, daß ich schlafen werde, ausschlafen, ganz tief schlafen.
    Wir reden zwar mit den Kindern, aber auch rasch über die Köpfe der Kinder hinweg, in Andeutungen, ein sprunghaftes Deutsch, und wenn es ganz unvermeidlich wird, von englischen Sätzen untermischt, doch um ein SOS handelt es sich nicht, wenn wir die englischen Morsezeichen brauchen, denn es geht schon gut mit Ivan und den Kindern. Aber wenn die Kinder dabei sind, halte ich mich zurück und zugleich bin ich redseliger als mit Ivan, denn ich empfinde dann Ivan nicht übermäßig als Ivan, sondern als den Vater von Béla und András, nur im Anfang war ich nicht einmal fähig, vor den Kindern seinen Namen auszusprechen, bis ich merkte, daß sie es selber tun, aber András, wenn er ins Jammern kommt, ruft noch manchmal: Papà! das muß ein Wort aus einer früheren Zeit sein. Im letzten Augenblick hat Ivan beschlossen, mich mit nach Schönbrunn zu nehmen, weil András natürlich, der gleich zu mir gefunden hat, ihn gefragthat: Kommt sie nicht mit? sie soll mitkommen! Vor dem Affenhaus hängen aber beide Kinder an mir, András krallt sich an meinen Arm, ich ziehe ihn vorsichtig immer fester an mich, ich

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