Malina
würde mein erreichtes Land nicht halten können, abgleiten und es verlassen. Auch wenn Malina schweigt, ist es besser, als alleine zu schweigen, und es hilft mir dann bei Ivan weiter, wenn ich es nicht fassen kann, wenn ich mich nicht fassen kann, weil Malina stets fest und gefaßt für mich da ist, und so bleibt mir in den finstersten Stunden noch bewußt, daß Malina mir nie verlorengehen wird – und ginge ich selber verloren!
Zu Malina sage ich du und zu Ivan sage ich du, aber diese beiden Du sind durch einen unmeßbaren, unwägbaren Druck auf den Ausdruck verschieden. Beiden gegenüber habe ich von Anfang an kein Sie benutzt, das ich sonst immer gebrauche. Ivan ist zu augenblicklich von mir erkannt worden, und es blieb keine Zeit, ihm näherzukommen durch Reden, ich war ihm schon zugefallen vor jedemWort. Über Malina wiederum habe ich so viele Jahre nachgedacht, es hat mich so verlangt nach ihm, daß unser Zusammenleben eines Tages nur noch die Bekräftigung war für etwas, was immer so sein hätte sollen und nur zu oft verhindert worden war, durch andere Menschen, durch verkehrte Entschlüsse und Handlungen. Mein Du für Malina ist genau und geeignet für unsere Gespräche und unsere Auseinandersetzungen. Mein Du für Ivan ist ungenau, es kann sich verfärben, verdunkeln, lichten, es kann spröde, mild oder zaghaft werden, unbegrenzt ist die Skala seiner Expressionen, es kann auch ganz allein, in großen Intervallen, gesagt werden und viele Male sirenenhaft, immer wieder verlockend neu, aber immer noch ist es nicht mit dem Ton, mit jenem Ausdruck gesagt worden, den ich in mir höre, wenn ich unfähig bin, vor Ivan ein Wort herauszubringen. Vor ihm nicht, aber inwendig werde ich eines Tages das Du vollenden. Es wird das Vollkommene sein.
Sonst sage ich zu den meisten Leuten Sie, es ist mir ein unentbehrliches Bedürfnis, auch aus Vorsicht, Sie zu sagen, aber ich verfüge über mindestens zweierlei Sie. Ein Sie ist für die meisten Leute bestimmt, ein anderes, ein gefährliches, reichinstrumentiertes Sie, das ich nie zu Malina und nie zu Ivan sagen könnte, ist für die Männer bestimmt, die es geben könnte in meinem Leben, wenn es nichtIvan gäbe. Ivans wegen weiche ich in diese beunruhigenden Sie aus, und weiche selbst mit aus. Es ist ein schwer beschreibliches Sie, manchmal verstanden, selten genug, aber doch verstanden in seiner Spannung, die ein Du der Kameraderien nie haben kann. Denn ich sage natürlich auch zu allen möglichen Leuten du, weil ich mit ihnen in der Schule war, weil ich mit ihnen studiert habe, weil ich mit ihnen gearbeitet habe, aber es bedeutet nichts. Mein Sie dürfte mit dem Sie der Fanny Goldmann verwandt sein, die angeblich, natürlich nur Gerüchten zufolge, zu allen ihren Liebhabern beharrlich Sie gesagt hat. Sie sagte natürlich auch zu allen anderen Männern Sie, die nicht ihre Liebhaber werden konnten, und sie soll einen Mann geliebt haben, zu dem sie ihr schönstes Sie gesagt hat. Frauen wie die Goldmann, von denen man immerzu spricht, können nichts dazu oder dagegen tun, aber eines Tages zirkuliert eben ein Satz in der Stadt: Leben Sie auf dem Mond? was, das wissen Sie nicht? die hat ihre größten Lieben, und das waren ja einige, mit dem unnachahmlichsten Siesagen absolviert! Selbst Malina, der nie etwas Gutes und nie etwas Schlechtes über jemand sagt, erwähnt, er habe heute Fanny Goldmann kennengelernt, sie war auch eingeladen bei den Jordans, und er sagt unwillkürlich: Ich habe nie eine Frau so schön Sie sagen gehört.
Mich interessiert doch nicht, was Malina über dieGoldmann denkt, er wird doch keine Vergleiche anstellen, denn schließlich hat diese Frau sprechen gelernt, und ich habe keine Bauchatmung erlernt, ich kann Worte nicht nach Belieben modulieren und keine Kunstpausen machen. Worüber, da bald Schlafenszeit ist, soll ich, in meiner Angst, mit Malina reden, wo anfangen, da ich nur zwei Kinder kennengelernt habe, die wiederum Malina nicht interessieren. Was sich noch ereignet, was er meine kleinen Geschichten nennt, darf nie besprochen werden. Weltereignisse und Stadtereignisse dürfen nicht nachgesprochen werden, vor Malina nicht, wir sitzen ja an keinem Wirtshaustisch. Sprechen dürfte ich von allem, was mich umkreist, was mich einkreist. Gibt es eine geistige Enteignung? Hat ein Enteigneter, falls es die Enteignung gibt, ein Recht auf letzte Schwierigkeiten beim Denken? Lohnt es sich noch?
Fragen dürfte ich nach den unmöglichsten Sachen. Wer hat die
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