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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Gehen. Malina hat mich gerächt. Am Ausgang fallen mir die langen weißen Handschuhe zu Boden, und Malina hebt sie auf, sie fallen mir auf jeder Stufe zu Boden, und Malina hebt sie auf. Ich sage: Danke, danke für alles! Laß sie fallen, sagt Malina, ich hebe dir alles auf.
    Mein Vater geht den Strand entlang in der Wüste, in die er mich mitgelockt hat, er hat sich verheiratet, er schreibt in den Sand den Namen dieser Frau, die nicht meine Mutter ist, und ich merke es nicht sofort, erst nach dem ersten Buchstaben. Die Sonne scheint grausam auf die Buchstaben, sie liegen wie Schatten im Sand, in der Vertiefung, und meine einzige Hoffnung ist, daß die Schrift rasch überweht sein wird, noch ehe der Abend kommt, aber mein Gott, mein Gott, mein Vater kehrt zurück mit dem großen goldenen, dem mit Edelsteinen besetzten Stab der Wiener Universität, auf den ich geschworen habe: spondeo, spondeo, und ich will nach bestem Wissen und Gewissen, und mein Wissen niemals und unter keinen Umständen. Mit diesem ehrwürdigen Stab, der ihm nicht gehört, wagt er es wirklich, auf den ich die Schwurfinger gelegt habe, um meinen einzigen und wahrhaftigen Schwur abzulegen, mit dem Stab, auf dem noch mein Schwur brennt, schreibt er in den stehengebliebenen Sand wieder den Namen, ich kann ihn diesmal auch lesen, Mela NIE und noch einmal Mela NIE , und ich denke in der Dämmerung: NIE , nie hätte er das tun dürfen. Mein Vater ist am Wasser angelangt und stützt sich zufrieden auf den goldenen Stab, ich muß losrennen, obwohl ich weiß, daß ich schwächer bin, aber überraschen könnte ich ihn, ich springe von hinten auf seinen Rücken zu, um ihn zu Fall zu bringen,nur niederwerfen will ich ihn, wegen des Stabes aus Wien, nicht einmal weh tun möchte ich ihm, denn mit diesem Stab kann ich ihn nicht schlagen, weil ich geschworen habe, ich stehe da, mit dem erhobenen Stab, mein Vater prustet vor rasender Wut im Sand, er verflucht mich, weil er meint, ich wolle den Stab zerbrechen an ihm, ich wolle ihn totschlagen damit, aber ich halte ihn nur gegen den Himmel und lasse laut werden bis zum Horizont, über das Meer, bis zur Donau hin: Ich bringe dies zurück aus dem heiligen Krieg. Und mit einer Handvoll Sand, die mein Wissen ist, gehe ich über das Wasser, und mein Vater kann mir nicht folgen.
    In der großen Oper meines Vaters soll ich die Hauptrolle übernehmen, es ist angeblich der Wunsch des Intendanten, der es bereits angekündigt hat, weil dann das Publikum scharenweise käme, sagt der Intendant, und die Journalisten sagen es auch. Sie warten mit Notizblöcken in der Hand, ich soll mich äußern über meinen Vater, auch über die Rolle, die ich nicht kenne. Der Intendant selber zwängt mich in ein Kostüm, und da es für jemand andren gemacht war, steckt er es eigenhändig mit Stecknadeln ab, die mir die Haut aufritzen; er ist so ungeschickt. Zu den Journalisten sage ich: Ich weiß gar nichts, bitte wenden Sie sich an meinen Vater, ich weißdoch nichts, es ist keine Rolle für mich, es ist nur, um das Publikum scharenweise zu locken! Aber die Journalisten schreiben etwas ganz anderes auf, und ich habe keine Zeit mehr, zu schreien und ihnen die Zettel zu zerreißen, denn es ist die letzte Minute vor dem Auftritt, und ich laufe, verzweifelt und schreiend, durch das ganze Opernhaus. Nirgends ist ein Textbuch zu bekommen, und ich weiß kaum zwei Einsätze, es ist nicht meine Rolle. Die Musik ist mir wohlbekannt, oh, ich kenne sie, diese Musik, aber die Worte weiß ich nicht, ich kann diese Rolle nicht, nie werde ich sie können, und ich frage, verzweifelter, einen Gehilfen von dem Intendanten, wie denn der erste Satz gehe von dem ersten Duett, das ich mit einem jungen Mann singen muß. Er und alle anderen lächeln enigmatisch, sie wissen etwas, was ich nicht weiß, was wissen die alle nur? Mir kommt ein Verdacht, aber der Vorhang geht auf, und unten ist diese riesige Menge, scharenweise, ich fange aufs geratewohl zu singen an, aber verzweifelt, ich singe ›Wer hülfe mir, wer hülfe mir!‹ und ich weiß, daß der Text so nicht heißen kann, aber ich merke auch, daß die Musik meine Worte, die verzweifelten, überdröhnt. Auf der Bühne sind viele Menschen, die teils wissend schweigen, teils gedämpft singen, wenn sie einen Einsatz bekommen, ein junger Mann singt sicher und laut und manchmal berät er sich rasch und heimlich mit mir, ich begreife, daß indem Duett sowieso nur seine Stimme zu hören ist, weil mein Vater nur für ihn

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