Malina
Eispalastes, auf Fenster, die dünnste Eisplatten, durchsichtig wie das schönste Glas, als Scheiben haben. Hunderte von Eiskandelabern erleuchten den Platz, und zum Staunen ist die Einrichtung, die Diwane, Taburette, die Kredenzen mit dem zerbrechlichsten Service, Gläsern und Teegeschirr, alles aus Eis gefertigt und in lebhaften Farben, bemalt wie das Augarten-Porzellan. Im Kamin liegt Holz aus Eis, das, mit Nafta überstrichen, zu brennen scheint, und über das große Himmelbett kann man durchdie spitzenartigen Eisvorhänge sehen. Die Zariza, die meinen Vater ihren ›Bären‹ nennt, neckt ihn, sie meint, es müsse ein Vergnügen sein, in diesem Palast zu wohnen, aber doch etwas zu kalt zum Schlafen sein. Mein Vater beugt sich zu mir und sagt im frivolsten Ton: Ich bin überzeugt, daß du nicht erfrieren wirst, wenn du mit deinem Herrn Bardos heute dieses Lager teilst, er soll doch dafür sorgen, daß zwischen euch das Feuer der Liebe nicht zum Erlöschen kommt! Ich werfe mich vor meinem Vater nieder, ich bitte nicht um mein Leben, sondern um Gnade für den jungen Bardos, den ich kaum kenne, der mich kaum kennt und mich verständnislos, am Erfrieren schon ohne Verstand, ansieht. Ich verstehe nicht, warum auch Bardos mitgeopfert werden soll bei dieser Volksbelustigung. Mein Vater erklärt der Zariza, daß auch mein Mitschuldiger sich ausziehen müsse und so lange mit den Wassern aus der Donau und aus der Newa begossen werde, bis wir beide zu Eisstatuen werden. Aber das ist ja entsetzlich, antwortet Melanie affektiert, mein großer Bär, du wirst die Unglücklichen doch früher töten lassen. Nein, meine kleine Bärin, erwidert mein Vater, denn sonst würden den beiden die natürlichen Bewegungen, die nach dem Gesetz der Schönheit unerläßlich sind, fehlen, ich werde sie lebendig begießen lassen, wie könnte ich mich bloß an der Todesangst belustigen! Du bist grausam, sagt Melanie, aber mein Vater verspricht ihr eine Ekstase, er weiß, wie verwandt die Grausamkeit und die Wollust sind. Wenn man in einen Pelz gehüllt ist, ließe sich das leicht und gut ansehen, verspricht er und hoffe, Melanie werde auch an Grausamkeit einmal alle anderen Frauen übertreffen. Die Leute von der Straße und die Wiener Gesellschaft jubeln: So was sieht man nicht alle Tage!
Wir stehen bei 50 Grad Kälte, entkleidet, vor dem Palast, müssen die befohlenen Positionen einnehmen, im Publikum seufzen manche, doch jeder denkt, daß Bardos, der unschuldig ist, mitschuldig ist, weil man anfängt, die Ströme eisigen Wassers über uns zu gießen. Ich höre mich noch wimmern und eine Verwünschung ausstoßen, das letzte, was ich wahrnehme, ist das triumphierende Lächeln meines Vaters, und sein befriedigtes Seufzen ist das letzte, was ich höre. Ich kann nicht mehr um das Leben von Bardos bitten. Ich werde zu Eis.
Meine Mutter und meine Schwester haben einen internationalen Parlamentär zu mir geschickt, sie wollen wissen, ob ich ›nach‹ diesem Vorfall bereit wäre, mit meinem Vater die Beziehungen weiterzuführen. Ich sage dem Zwischenträger: Um nichts inder Welt! Der Mann, der ein alter Freund von mir sein muß, ist konsterniert deswegen und meint, das sei aber schade. Er findet meinen Standpunkt zu hart. Nachher gehe ich von meiner Mutter und meiner Schwester, die stumm und hilflos herumstehen, weg in das Nebenzimmer, um selbst mit meinem Vater darüber zu sprechen. Obwohl ich unbeugsam denke, unbeugsam urteile, mein ganzer Körper unbeugsam geworden ist, werde ich die Vorstellung nicht los, daß ich meine Pflicht tun müsse, ich werde wieder mit ihm schlafen, mit den zusammengebissenen Zähnen, dem unbewegten Körper. Er soll aber wissen, daß ich es nur den anderen zuliebe tue und damit kein internationales Aufsehen erregt wird. Mein Vater ist sehr niedergeschlagen, er macht Andeutungen, daß er sich krank fühle, allem nicht mehr gewachsen sei, und ich kann die Aussprache wieder nicht herbeiführen, er steigert sich in eine Krankheit hinein, die er gar nicht hat, damit er nicht über Melanie und mich nachdenken muß. Es geht mir ein Licht auf, warum er alles mögliche vorschiebt, denn er lebt jetzt mit meiner Schwester. Ich kann nichts mehr tun für Eleonore, sie schickt mir einen Zettel zu: Bete für mich, bitte für mich!
Ich sitze auf dem Bett, mir ist zu warm und mir ist zu kalt, ich greife nach einem Buch, das ich vor demEinschlafen auf den Boden gelegt habe, GESPRÄCH MIT DER ERDE , ich habe vergessen, bei welchem Kapitel
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